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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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gestohlen hast.»
    «Gestohlen – von wegen! Die Knospe hilft einer Kranken bei der Genesung, genau wie die Kräuter dort.»
    Dann stutzte sie, und ein eisiger Schrecken durchfuhr sie: Der Bader streckte ihr in seiner offenen Hand Niklas’ Brief entgegen. Das durfte nicht sein – wenn er ihn nun gelesen hatte?
    Doch der Blick des Männleins war kalt und undurchdringlich. «Dein Wort in Gottes Ohr, junger Mann. Eine gesegnete Nachtruhe denn auch.»
    Hastig nahm sie das Papier an sich, das auf eben die winzige Art zusammengefaltet war wie zuvor, und ging ohne ein weiteres Wort zur Schönen Pforte, wo Melcher sie hinausließ. Hörte sie die beiden Männer hinter der Mauer nicht miteinander flüstern? Und war das nicht das hämische Lachen des Baders?
    Als sie zur Nacht auf ihrem Strohsack lag und sich hin und her wälzte, fand sie keinen Schlaf. Sie schob es auf die Hitze, die hier, unterm Dach, nicht weichen wollte. Ihre Beine und Arme zuckten, als seien sie eigenständige Wesen, ihr Rücken war so verspannt, dass er schmerzte. Schließlich stand sie auf und schenkte sich im schwachen Mondlicht einen Schluck Wasser ein.
    Im selben Augenblick krachte es gegen die Tür. «Aufmachen, Adam Auer! Sofort!»
    Eva setzte den Becher ab, holte tief Luft und rief: «Ja, ich komme.»
    Einen letzten Blick ließ sie durch das Zimmer schweifen, doch sie fand nichts, was sie vermissen würde. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, zog das Wams über das Hemd und öffnete die Tür.
    «Gehen wir», sagte sie zu den beiden Steckenknechten, die sie, wie es ihr schien, voller Unglauben angafften. So hatte es irgendwann kommen müssen, und darüber wurde sie vollkommen ruhig.
     
    Im Schein der Fackeln durchquerten sie die engen, düsteren Gassen der Handwerkervorstadt, ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen. Rechts und links hatten die Steckenknechte sie beim Arm gepackt, die Knüppel kampfbereit in der freien Hand.
    Erst als sie auf dem Platz vor dem Rathaus standen, durchbrach der Jüngere die Stille.
    «Ist es wahr, dass du ein Weib bist?»
    «Als solches hat Gott mich geschaffen, ja!»
    Sie vermochte nicht mehr, mit unverstellter Stimme zu sprechen, und fast hätte sie darüber gelacht.
    «Potzsackerment! Was für ein Schelmenstück!» Der Ältere leuchtete ihr ins Gesicht. «Ich glaub es einfach nicht!»
    «Habt ihr noch alle beinand, hier Plauderstunde zu halten?», polterte es aus dem stockdunklen Laubengang unter dem Festsaal. «Sofort bringt ihr die Gefangene her.»
    Die Büttel zogen sie an den jetzt leeren Bänken der Bäcker und Fleischhauer vorbei bis vor eine schmale Seitentür, wo ein Gerichtsdiener sie erwartete.
    «Los, vorwärts! Rein mit dir!»
    Unsanft stieß der Gerichtsdiener Eva einige Stufen hinunter in einen schmalen, dunklen Gang.
    «Was habt Ihr vor?», fragte sie. Ihre Stimme war nur mehr ein raues Flüstern.
    «Wirst schon sehen. Morgen bring ich dich zur Befragung.»
    Und so landete sie in jener Nacht, wie es allen Übeltätern und Spitzbuben dieser Stadt geschah, im Loch unter dem Rathaus. Blieb allein in der kleinen Kammer, im Stockdunklen, angekettet auf einem schmutzigen Haufen Stroh.

41
    Über vier Wochen verbrachte sie insgesamt in ihrem Gefängnis gleich unter dem Prunksaal, wo nicht nur die Regensburger Stadtherren, sondern die Mächtigen des ganzen Reiches Versammlung zu halten und der Kaiser seine Mitteilungen zu machen pflegten – unter ebenjenem Prunksaal, wo Kaiser Karl einst die neue Halsgerichtsordnung verkündet hatte, nach deren klaren Regeln seither gütlich und peinlich examiniert wurde, Urteile gefällt und Strafen vollzogen wurden. Und nach der auch Eva verurteilt werden würde.
    Doch zunächst geschah gar nichts. Angekettet kauerte sie auf ihrer Strohschütte, dreimal am Tag brachte ihr ein Wärter, der nicht mit ihr sprechen durfte, Wasser und Brot, zu Mittag auch mal ein Rädchen Wurst. Es gab kein Fenster, nur einen schmalen Lichtschacht, durch den wie aus weiter Ferne die Geräusche der Stadt drangen.
    Dann, auf den Samstag hin, wurden Stroh und Aborteimer ausgewechselt, Eva durfte sich frischmachen und wurde nach nebenan in die Fragstatt gebracht, einen hohen, fensterlosen Raum.
    Hatte sie die Tages- und Nachtstunden bislang in einer Art immer gleichen Dämmerzustand verbracht, wurde sie nun hellwach angesichts dessen, was ihr das Licht der Deckenlampe an den Wänden ringsum präsentierte: Schrauben und Zangen aller Art, dazu Streckleiter, Spanischer Bock und die Seilwinde eines

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