Die Vagabundin
Aufzugs. Der Wärter ließ ihr ausreichend Zeit, all diese grausamen Instrumente der peinlichen Befragung zu betrachten, zerrte sie gewaltsam an jedem einzelnen Ding vorbei, aber Eva hielt die Augen längst krampfhaft verschlossen – auch wenn dies nichts nutzte gegen die nackte Angst, die sie fast ersticken ließ.
Doch nichts von alldem sollte zum Einsatz kommen. Wozuauch? Eva leugnete nichts, was der Kämmerer und die Herren Stadträte kurze Zeit später ihr in kalten Worten vorwarfen, die gütliche Befragung reichte völlig zur Klärung. Alles gab Eva zu, ihren ganzen schändlichen Betrug an der armen Barreiterin, an der Schneiderzunft, nicht zuletzt an der freien Reichsstadt Regensburg, und die Feder des Schreiberlings kratzte nur so über das Papier. Die städtische Hebamme, die mit den Herren erschienen war und sie hinter einem Vorhang in erniedrigender Weise auf ihr Geschlecht untersucht hatte, wäre im Grunde gar nicht vonnöten gewesen. Jetzt glaubte man ihr alles.
Am Ende konnte sich Eva kaum noch auf den Beinen halten. Demutsvoll und mit zitternder Stimme bat sie nur noch um Antwort auf eine einzige Frage: wer sie bei der Obrigkeit angezeigt habe.
Der Kämmerer warf einen fragenden Blick auf die beiden Stadträte, die gnädig nickten.
«Das war der ehrenwerte Bürger und Badermeister Hasplbeck. Er hatte dich schon länger unter Verdacht, hatte dich wohl auch einmal des Nachts im Spitalgarten beobachtet, beim Wasserlassen auf Weiberart. Zuletzt dann war ihm ein Brief in die Hände gefallen, in dem du als liebe Schwester angesprochen wurdest. Den zweiten Zeugen zu finden, den unser Kaiserliches Gesetz vorschreibt, war ein Leichtes: die betrogene Bürgerin und Spitalmutter Kathrin Barreiterin.»
«Kathrin», murmelte Eva.
«Auf Fürbitte dieser Frau werden dir fortan die Ketten erlassen. Du solltest der Barreiterin also …»
Die restlichen Worte hörte Eva nicht mehr, da ihr schwarz vor Augen wurde und sie zu Boden sank.
Bis Lorenzi hielt man sie in dem feuchten Loch unter dem Rathaus gefangen, ohne dass sie einen anderen Menschen als denWärter zu Gesicht bekommen hätte. Und der gehörte zu jener Sorte Büttel und Diener, die in schon fast hündischer Weise ihren Gehorsam an den Tag legten: Er redete kein Wort zu viel mit Eva, geschweige denn, dass er ihr mal einen Bissen mehr zugesteckt hätte, und zeigte ihr dabei unverhohlen seine Verachtung.
Nur einmal gab er sich ungewohnt gesprächig, als er ihr nämlich verkündete, dass bald schon das Urteil gefällt werde.
«Eine wie dich sollte man verbrennen», hatte er gegeifert. «Ich hab von einem Fall im Norden des Reiches gehört: Da hat ein Weib sich Hans Lose genannt und eine Frau geehelicht – grad so wie du! Durch die widerwärtigste Beiwohnung ist das arme Weib um Gesundheit und Verstand gebracht worden. Aber der Hosenteufel hat wenigstens seine gerechte Straf gekriegt: Verbrannt ist er worden, bei lebendigem Leib!»
In diesen langen Wochen hatte Eva nur eines im Überfluss gehabt: Zeit zum Nachdenken. Ihr ganzes bisheriges Leben lief wieder und wieder vor ihrem inneren Auge ab, und doch kam sie jedes Mal nur zu derselben Erkenntnis: Es hatte alles irgendwie keinen Sinn mehr. Sie hatte mit dem Feuer gespielt und sich dabei gehörig verbrannt! Was ihr als Strafe blühte, konnte sie sich denken: zehn, zwölf Rutenstreiche oder Schlimmeres, um danach vom Pöbel am Pranger bespuckt oder wie Josefina mit der Schandgeige über den Markt geführt zu werden. Wenn sie nur irgendwie heil aus dieser Sache herauskäme, würde sie zu Niklas nach Straubing zurückkehren, um dort beim Oheim um Gnade zu flehen.
Als man sie endlich holen kam, wäre sie am liebsten liegen geblieben, so geschwächt fühlte sie sich von der kargen Kost. Man brachte ihr Holzpantinen und den einfachen Kittel einer Magd, und sie musste sich vor den Augen des Gerichtsdieners und des hämisch grinsenden Wärters umkleiden. Der Platz vordem Rathaus lag noch im Schatten an diesem frühen Sommermorgen, und Eva fröstelte es. Sie mühte sich gar nicht erst, in der gaffenden Menge einzelne Gesichter zu erkennen. Vor allem Kathrin hätte sie nicht unter den Zuschauern wissen wollen – ein Blick nur von ihr, und sie wäre vor Scham einmal mehr in Ohnmacht gefallen.
Von der Rathaustreppe herab verlas der Kämmerer das Urteil des ehrsamen Rates. Sie vermochte den verqueren Worten kaum zu folgen. Hatte sie das alles nicht schon einmal mit anhören müssen? Sie vernahm Worte wie
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