Die Vagabundin
«Verdorbenheit» und «schändlicher Betrug», aber auch «Milde» und «Gnade angesichts ihres kranken Gemütszustandes». Dann folgte das Urteil:
«Nach solchem Bekennen ist die Malefikantin Eva Barbiererin der Ehrenstraf halber und nach geschehener Fürbitte einzulegen ins Narrenhäusl auf drei Stunden, hernach für immer aus unserer Stadt und der Stadt Burgfrieden sowie auf zehn Meilen Weges ferner hindan zu verweisen.»
Nachdem Eva mit heiserer Stimme ihre Urfehde geleistet hatte, schwankte sie die wenigen Schritte hinüber zum Narrenhäusl, jenem luftigen Verschlag, hinter dessen Lattenrost man den Blicken der Menge ungeschützt ausgesetzt war. Dort kauerte sie sich auf den kalten Steinboden, den Kopf unter den Armen verborgen. Dennoch drang das Getuschel und Geraune der Leute schmerzhaft klar an ihre Ohren; auch ohne aufzusehen, ahnte sie, wie man sich vor dem Gatter drängte, als sei sie ein Monster mit zwei Köpfen, das man auf dem Jahrmarkt ausstellte.
«Ist das wirklich ein Weib?» – «A geh – a rechte Missgeburt is dös!» – «Soll sie halt die Duddln rausholen, dann wiss’mas.» – «Da steckt doch der Gottseibeiuns selber dahinter.» Und immer wieder Gelächter, mal höhnisch, mal zweifelnd. Ein Ei zerplatzte an ihrer Schulter, ein Stein krachte gegen das Holz. EineStimme brüllte ganz dicht an ihrem Ohr: «Und wie hast die Barreiterin gepudert? Mit einem Stecken?» Eine tiefe Männerstimme daraufhin: «Lebendig in einen Sack und dann ab in die Donau!»
«Haltets die Goschn und lasst mich durch!», rief jemand, dessen Stimme Eva kannte. Zugleich spürte sie etwas Kühles, Hartes an ihrem Unterarm. Sie blinzelte. Es war der Hals eines Weinschlauchs, den eine Hand ihr zwischen den Latten hindurchschob.
«Nimm das, Adam.»
Melcher, der Torhüter von der Schönen Pforte, betrachtete sie voller Mitgefühl. Hinter seinem Rücken erkannte sie auch einen der Spitalknechte. Der drehte sich jetzt der Menge zu.
«Lasst sie in Ruh. Die Eva hat nie wem was getan. Im Gegenteil. Etliche hat sie damals im Spital gesund gepflegt.»
«Und der beste Gewandschneider von Regensburg ist sie obendrein!»
Dieser letzten Bemerkung folgte wiederum Gelächter, jetzt allerdings weitaus weniger feindselig, und Eva wagte, den Kopf zu heben. Zwar drängte sich noch immer alles, was zwei Beine hatte, vor ihrem Gatter, doch manch einer winkte oder lächelte ihr zu, hier entdeckte sie einen Gesellen aus der Trinkstube, dort den Botenjungen von der Schiffslände. Eine alte Frau, die im Nachbarhaus wohnte, reichte ihr sogar die knotige Hand durchs Gitter und murmelte ein ums andere Mal: «Mein armer Junge!»
Eva holte tief Luft, dann entkorkte sie die Flasche. Der Wein war stark und gut gesüßt.
«Danke», flüsterte sie und gab Melcher die Flasche zurück.
«Nein, trink nur. Ist alles für dich. Sollst doch zu Kräften kommen. Hier, noch ein Batzerl Wurst.»
Eva traten die Tränen in die Augen. «Wie geht es Kathrin?»
Melcher zuckte die Schultern. «Net grad gut. Sie war’s auch, die das Gnadengsuch eingreicht hat.»
«Ist sie hier?»
«Na. Sie will di nimmer sehn. Aber ich soll dir sagen, dass sie dir verzeiht. Und das soll ich dir geben.» Er reichte ihr einen kleinen Stoffbeutel. «Ein Zehrpfennig ist da drin.»
Eva band den Beutel an ihren Kittel, dann ließ sie den Kopf wieder sinken. Sie schämte sich, wie sie sich noch nie in ihrem Leben geschämt hatte. Nur noch eines wünschte sie sich: hier herauszukommen, allein zu sein, weit weg von diesem Ort.
Eine Stunde später war es so weit. Zwei Stadtknechte, kräftige, vollbärtige Gesellen, banden ihr mit einem Strick die Handgelenke auf den Rücken, fassten sie rechts und links beim Arm und führten sie quer durch die Stadt. Bis zum Ostentor folgte die Menschenmenge, viele versuchten sie zu berühren, wie um sich zu vergewissern, dass dieser Adam wahrhaftig ein Weib aus Fleisch und Blut war. Am Stadttor brauchte es die Hilfe der Torwächter, um die Menschen zurückzudrängen. Nicht wenige riefen ihr Abschiedsworte zu, wünschten ihr Glück und hatten sogar Tränen in den Augen.
Als sie schon den Graben überschritten hatten, drehte sich Eva ein letztes Mal um. Ihr war, als habe jemand ihren Namen gerufen. Sie traute ihren Augen nicht, als Kathrin auf sie zugerannt kam.
«Wartet», rief die Spitalmutter außer Atem. Unwillig blieben ihre beiden Bewacher stehen.
«Das hier» – sie hielt einen vergilbten Fetzen Papier in der Hand, den sie mit
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