Die Vagabundin
zitternden Fingern in Evas Schürzenbeutel stopfte – «ist vielleicht wichtig für dich. Es war im Futter des Jagdhütchens gesteckt.» Ihre Stimme ging in Schluchzen über. «Gott schütze dich!»
Es sah aus, als wollte sie Eva umarmen, doch die Stadtknechtedrängten sie zurück. Eva spürte einen schmerzhaften Stoß in ihrem Rücken.
«Vorwärts!» Der jüngere der beiden Männer spuckte voller Verachtung vor ihr aus. «Dreckertes Weibsbild!»
Eine gute halbe Stunde marschierten sie in Richtung Morgen, und schon trieb ihnen die brütende Hitze, die sich wie ein Schild über den Donaubruch gelegt hatte, den Schweiß aus allen Poren. Eva hatte Zeit genug in Männerkleidern verbracht – Seit an Seit mit anderen Männern –, um die brünstigen Blicke und unflätigen Sprüche dieser beiden Stadtknechte richtig zu deuten. Ihr Verstand war hellwach, jede Faser ihrer Muskeln angespannt: Die zwei würden, sobald es die Gelegenheit zuließ, sich ihren Lohn für diesen Marsch durch die Sommerhitze holen, das war so sicher wie der Glockenschlag der Kirche. Nur einen Atemzug lang hatte Eva gedacht, dass die Gewalt, die ihr drohte, die gerechte Strafe Gottes für ihren Frevel sein würde – dann siegte ihr Kampfeswille. Niemals!, pochte es gegen ihre Schläfen, niemals!
So war ihre ganze Aufmerksamkeit nur noch auf eines ausgerichtet: die Fessel um ihre Hände unbemerkt zu lösen. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, denn der Feldweg, der sich in einigem Abstand längs der Handelsstraße entlangzog, mündete geradewegs in einen Auwald.
«Da vorne im Wald lassen wir sie laufen», sagte der Ältere und nickte seinem Genossen zu. Ein gieriger Zug spielte um seine Lippen, und seine Augen begannen zu glänzen. Im selben Moment hatte Eva ihre Fessel gelöst. Ihre rechte Faust krachte mitten auf die Nase des Mannes, der einen Schrei wie ein Tier ausstieß, dann schnellte ihr Knie in das Geschlecht des anderen, und sie rannte los. Quer durch ein sumpfiges Wiesenstück rannte sie, strauchelte mehrmals und rappelte sich wieder auf, bis sie den Damm der Straße nach Straubing erreicht hatte und sichmit schmerzender Lunge einer Gruppe Krämer anschloss. Da erst wagte sie, sich umzudrehen: Von den beiden Stadtknechten war nichts mehr zu sehen.
Bis zu einer Reiseherberge marschierte sie noch, dann war sie am Ende ihrer Kraft. Den Silberpfennig, den sie von Kathrin hatte, gab sie dem Wirt, für einen Schlafplatz und eine kräftige Mahlzeit. Als der ihr einen Krug Starkbier brachte, faltete sie mit klopfendem Herzen das Papier auseinander, das sie vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Kaum wagte sie es, die Buchstaben aus verblichener Tinte zu entziffern, denn die Unterschrift hatte sie sofort erkannt: Der Brief war von Moritz!
«Ist dir nicht wohl?», fragte der Wirt und stellte die Schüssel mit dem Krautfleisch vor ihr ab.
«Das ist nur der Hunger», murmelte Eva. Dann gab sie sich einen Ruck und begann zu lesen.
Liebste Eva! Meine Prinzessin! Es zerreißt mir das Herz, dich so allein im Jagdhaus zu wissen. Es ist zu unserem großen Unglück alles anders gekommen, als ich erhofft hatte. Aber glaub mir, unsere Trennung wird nur von kurzer Dauer sein – so gewiss unser beider Liebe zueinander ist, so gewiss wird sich ein Ausweg finden! Ich weiß, dass du stark bist! Auch wenn ich im Augenblick noch ein Gefangener meines eigenen Vaters bin: Vor der verriegelten Tür meiner Kammer steht einer seiner Trabanten, unterm Fenster ein anderer, und beide sind sie schwer bewaffnet. Sie werden mich ins Schwäbische bringen, ins Nördlinger Land, zum Grafen von Oettingen zu Oettingen im Ries, in dessen Dienste ich treten soll. In einer Stunde schon brechen wir auf. Leider hab ich meinen Vater und unsere Lage restlos verkannt: Als ich ihm verkündete, wer du seist und dass ich dir die Ehe versprochen hätte, blieb er so erstaunlich ruhig, als habe er etwas geahnt. Sein einziges Wort war: niemals! Dann begleitete er mich in meine Kammer, verriegelte die Tür und befahl
mir, meine Sachen zu packen – er werde mich zu jenem Oettinger bringen, dem ich vor vielen Jahren bereits als Page gedient hätte. Als ich mich weigerte, zog er das Schwert. Er habe keine Hemmung, den Ungehorsam seines Sohnes mit dem Schwert zu sühnen. Herzliebste Eva, ich will dir Einzelheiten ersparen. Um nicht dein und mein Leben zu gefährden, habe ich mich scheinbar gefügt, werde also ins Schwäbische reiten, um erst einmal außer Reichweite dieses Mannes zu sein, den
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