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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Vater zu nennen ich mich fortan weigere. Aber du musst fliehen, und ich bin gottfroh, dass niemand um unser Versteck im Jagdhaus weiß! Geh ins nahe Ingolstadt, zu meiner jüngsten Schwester Isolde, die mir in vielem sehr nahe ist und immer auf meiner Seite stand. Ihr zeige dieses Brieflein: Sie möge dich kommod unterbringen, mit dem Nötigsten, auch Geld, versehen. Ich werd versuchen, mir alsbald einen kurzen Urlaub zu erbitten – der Oettinger ist kein schlechter Kerl   –, und dich in Ingolstadt aufsuchen. Dann sehen wir weiter. Dieses Brieflein gebe ich dem Bartlome mit, ein braver Bursche, auf den ich mich auf Leben und Tod verlassen kann, auch wenn er manchmal ein wenig einfältig erscheint. In immerwährender Liebe, dein Moritz.
     
    Es dauerte eine Zeitlang, bis Eva begriff, dass der Brief in ihren Händen bald ein Jahr alt war und dass der treue Bartlome ihn dereinst in das Futter ihres Jagdhutes gesteckt hatte, wo ihn erst Kathrin Barreiterin hatte finden sollen.

42
    Durch die unbarmherzige Augusthitze schleppte sich Eva Meile für Meile voran, ohne sich Rast noch Pause zu gönnen, ernährte sich von Waldbeeren, geklautem Obst und erbetteltem Brot. Des Nachts oder wenn die Mittagshitze unerträglichwurde, suchte sie sich irgendeinen Unterschlupf abseits der Straßen. Nicht mehr Straubing war ihr Ziel, sondern das Ries um Nördlingen, und längst trug sie wieder Hose, Kittel und Mütze, die sie einem badenden Bauernjungen vom Ufer weg gestohlen hatte.
    Zunächst hatte sie einen riesigen Umweg machen müssen, war kreuz und quer durchs Land geirrt, denn sie wagte nicht, der Stadt Regensburg zu nahe zu kommen. Sie litt Hunger und Durst, und die Füße schmerzten in den viel zu engen Holzpantinen, bis sie sie schließlich einem kleinen Mädchen schenkte und barfuß weiterlief. Ein mitleidiger Schwabacher Eisenkrämer mit dem vielsagenden Namen Konrad Reysenleiter hatte ihr am fünften Tag den richtigen Weg gewiesen. Zurück ins Donautal solle sie, nur immer stromaufwärts bis Donauwörth. Von dort sei es nordwärts nicht mehr weit bis ins Ries. Nördlingen solle sie linker Hand liegen lassen und weiterziehen auf Nürnberg zu. Dann lande sie unfehlbar in Oettingen.
    Dieser Eisenkrämer war es auch gewesen, der ihr in diesen Tagen und Wochen die einzige richtige Mahlzeit verschafft hatte, indem er sie des Abends mit in ein Gasthaus nahm.
    Sie hatte sich ihm als Student und Sohn eines Passauer Ratsherrn ausgegeben, den drei Wegelagerer bis aufs Hemd ausgeraubt und gewiss auch gemeuchelt hätten, wäre nicht ein Fuhrmann dazwischengekommen. Mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen hatte sie ihm ihr Unglück geschildert, um anschließend einen ihrer Schwächeanfälle zu erleiden, von denen sie inzwischen manchmal selbst nicht mehr wusste, wann sie sie vortäuschte, wann tatsächlich erlitt.
    So hatte der gute Mann sie eingeladen, mit ihm zu speisen. Nach dem dritten Krug Bier war dann tatsächlich alles über ihr zusammengebrochen, die ganze Anspannung, all ihre Ängste der letzten Wochen. Warum nur hatte sie damals das Vertrauenin Moritz so gänzlich verloren, hatte geglaubt, dass er sie so schändlich hintergehen würde? Warum hatte sie ihrerseits Kathrin derart belogen und betrogen? Solcherlei quälende Gedanken brachen an jenem Abend über sie herein, ganz ohne Vorwarnung, bis sie schließlich vor den Augen des erschrockenen Eisenkrämers in Tränen ausgebrochen war.
    «Du armer Kerl, wie hat man dir übel mitgespielt», waren dessen Worte gewesen, als er ihr mitleidig übers Haar strich, wobei Eva nur noch mehr schluchzte. Nach dem Essen dann hatte er ihr angeboten, auf seinem Karren zu übernachten. Zum Dank dafür hatte sie ihm ein paar Schuhe aus feinem, weichem Kalbsleder vom Wagen gestohlen und sich in der Stille der Nacht aus dem Staub gemacht.
    Erst zwei Tage später hatte sie sich auf die große Handelsstraße im Donautal gewagt. Ein heftiges Gewitter hatte der Hitze ein Ende gemacht, doch in ihrem Innern wollte keine Ruhe einkehren. Immer wieder sagte sie sich, dass sie bald am Ziel sei, dass sie Moritz wiedersehen und damit alles gut werde. Doch ihre Zweifel wuchsen mit jeder Meile, die sie sich vorwärtsquälte. Wer sagte ihr, dass Moritz noch immer bei diesem Oettinger weilte? Und wer, dass er nicht längst eine neue Liebe gefunden hatte, eine standesgemäße dazu? Sie kam nicht mehr an gegen diese tiefe, innere Müdigkeit, die nichts zu tun hatte mit der täglichen Erschöpfung des

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