Die Vagabundin
Wanderns. Sie war müde ihres ganzen bisherigen Lebens, das aus nichts anderem zu bestehen schien als aus Possenspiel und Gaunereien, aus Diebstahl und Betrug.
So erschien es ihr im Nachhinein wie eine gerechte Fügung des Schicksals, dass sie, noch im Donautal, auf Bartel von Pfäfflingen traf. Dieser Bartel war nicht viel älter als sie, reiste ebenfalls allein und war seines Zeichens ein Schneiderknecht, gerade so wie sie. Vor allem aber hatte er ein offenes, verschmitztesWesen, das ihr von Beginn an gefiel. Sie waren rasch ins Gespräch gekommen, und Bartel hatte alsbald bemerkt, dass sie etwas von der Schneiderkunst verstand. Kurzerhand erzählte Eva ihm dieselbe mitleiderregende Geschichte wie dem Schwabacher Eisenkrämer, mit dem Unterschied nur, dass sie sich nun wahrheitsgemäß als Schneidergeselle ausgab.
«Alles haben sie mir geraubt, dieses Pack, dieses Schelmendiebsgesindel! Nur meine guten Schuhe konnt ich retten.»
Bartel nickte zustimmend. «Ja, das Leben auf der Landstraße ist hart und gefährlich. Man darf heutigentags keiner Menschenseel mehr trauen.»
Dann fragte er sie, ob sie nicht bis Nördlingen gemeinsam wandern wollten, und sie konnte nicht anders als zustimmen.
«Was willst du eigentlich in Oettingen? Dort sagen sich Fuchs und Has gut Nacht. Außer, du willst an den Grafenhof. Aber da kommt so ein Lumpenvagabund wie du erst gar nicht bis zur Pforte. Geh doch mit mir nach Nördlingen. Da treffen sich zu den Messen Kaufherren aus aller Welt, und das Handwerk hat noch goldenen Boden.»
«Vielleicht ergibt sich’s ein andermal. Ich muss tatsächlich zum Grafen, ob du’s glaubst oder nicht. Als Bote.»
«Als gräflicher Bote – soso!» Bartel musterte von oben bis unten ihre armselige Aufmachung, dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Sie kamen an diesem Tag bis in die Gegend von Donauwörth, wo das Tal der Wörnitz nordwärts in Richtung Ries abzweigte. Dieser Bartel hatte es tatsächlich geschafft, sie auf andere Gedanken zu bringen, mit seinen spaßigen Anekdoten, die er eine nach der anderen aus dem Ärmel schüttelte. Gerade noch rechtzeitig zur Nacht fanden sie Unterschlupf im Kuhstall eines freundlichen Bauern. Hundemüde drückte Eva sich ins Heu und war von einer Sekunde zur anderen eingeschlafen.
In dieser Nacht träumte sie von Moritz und Josefina. Sie war spät in der Nacht vor das Tor einer wehrhaften Stadt gelangt, und ein freundlicher Torhüter hatte sie bei der Hand genommen. Sie werde bereits erwartet, waren seine Worte. Dann führte er sie durch die dunklen, menschenleeren Gassen zu einem halbverfallenen Gebäude. Dort, hinter einem der Fenster, schimmerte ein tröstliches Licht. Der Wächter öffnete mit seinem riesigen Schlüssel ein Tor, sie trat ein und folgte dem Lichtschein. Er kam von oben, drei Treppen musste sie hinaufsteigen, bis sie in einem langgestreckten Raum stand, in dem es warm und hell war. Ganz am anderen Ende, vor einem flackernden Kaminfeuer, warteten Moritz und ihre Schwester, beide mit ausgebreiteten Armen. «Komm, Eva», riefen sie. «Komm zu uns. Es sind nur noch ein paar Schritte.»
Dann war sie erwacht. Nein, sie würde nicht aufgeben. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel.
Als sich ihre Augen an das Halbdunkel des frühen Morgens gewöhnt hatten, erkannte sie, dass der Platz neben ihr leer war. Bartel war verschwunden, und mit ihm das gute Paar Lederschuhe! Ihr lauter Fluch ließ die Kühe zusammenzucken, dann begann sie zu lachen. Sie lachte so lange, bis ihr die Tränen kamen.
Je weiter Regensburg hinter ihr lag, desto mehr verblasste die Erinnerung an alles, was sie dort erlebt hatte. Sie kam zwar nur langsam voran, aber immerhin unbehelligt von den Menschen, die mit ihr unterwegs waren. Diesen zerlumpten, halbverhungerten Bauernburschen schien keiner zu beachten. Nicht mal die zahlreichen Wanderbettler, die noch dem Elendesten ihre schäbigen Amulette und falschen Heilkräuter andrehen wollten, hatten Augen für sie.
Nur ein einziges Mal gab es einen Vorfall, der Eva in Schreckenversetzte: Sie war schon eine halbe Meile hinter Nördlingen, als sie eine verfallene Bauernkate zum Übernachten aufsuchte. Eben hatte sie sich in der halbdunklen Hütte hinter einen Holzverschlag gezwängt, wo jemand ein Lager aus Laub und Reisig aufgeschüttet hatte, als sie von draußen schwere Schritte und Männerstimmen hörte. Ihr blieb fast das Herz stehen, als die Männer die Kate betraten und sich nur wenige Schritte von ihr in der
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