Die Vagabundin
an den Wegesrand. Eine Handvoll Knechte und Mägde, die gerade bei der Erntearbeit waren, glotzte misstrauisch zu ihr herüber. Augenblicklich befielen sie wieder diese elenden Kopfschmerzen, und ihr Magen fühlte sich an, als sei er ein ausgetrockneter Wasserschlauch. Da sah siein einer Staubwolke fünf Reiter herantraben, der vorderste mit einer Standarte in der Faust. «Die Männer des Grafen», rief einer der Bauern, und sofort verneigten sich alle bis zum Boden. Eva sprang auf die Füße und rannte, ohne eine Sekunde nachzudenken, den Reitern mitten in den Weg.
«Aus dem Weg, Kerl!»
Doch Eva blieb stehen wie festgewurzelt und schloss die Augen, in der sicheren Erwartung, im nächsten Moment zu Boden getrampelt zu werden.
Deutlich spürte sie das Schnauben des Pferdes, das vor ihr scheute, dann einen Schlag gegen ihre Schulter.
«Bist du des Teufels?», brüllte der Bannerträger sie an.
Sie öffnete die Augen. Unruhig tänzelten die Pferde vor ihr hin und her, die geharnischten Reiter sahen sie böse an. Moritz war nicht darunter.
«Verzeiht vieltausendmal, edle Herren», brachte sie in mühevollem Krächzen hervor. «Gehört Ihr zum Grafen von Oettingen?»
«Was geht dich das an, du grindiger Flohbeutel?»
«Ich suche den Landjunker Moritz von Ährenfels.»
«Der Vagantenlump sucht unseren Landjunker – habt ihr das gehört, Männer?», blaffte der Standartenträger in Richtung der anderen. «Hör zu: Ich zähl bis drei, und wenn du dann nicht weg bist, trampelt dich mein Ross zu Matsch.»
«Ich hab eine Nachricht von seiner Schwester Isolde aus Ingolstadt.» Blitzschnell war Eva dieser Gedanke gekommen, und tatsächlich trat so etwas wie Unsicherheit auf das hoffärtige Gesicht des Reiters. Der, der hinter ihm geritten war, trieb sein Pferd zu Eva.
«Junker Moritz hat tatsächlich eine Schwester namens Isolde», sagte er zu dem Anführer. «Lassen wir ihn reden.»
«Ich hab eine Nachricht von seiner Schwester», wiederholteEva, nun mit fester Stimme. «Aber ich darf sie nur dem Junker höchstselbst übergeben.»
«Gib uns die verdammte Nachricht und verschwinde! Der Junker ist unterwegs.»
Sie schüttelte den Kopf. «Dann komme ich, wenn er zurück ist.»
«Jetzt seht euch den kleinen Rappelkopf an. Mumm hat er ja!» Der Anführer stieß einen anerkennenden Pfiff aus. «Da wirst du dich zwei Wochen gedulden müssen. Er ist mit dem Grafen nach Landshut geritten.»
«In zwei Wochen ist er zurück?»
«Ja.»
«Hier in Oettingen?»
«Ja, verdammt! Und jetzt weg mit dir, du stiehlst uns die Zeit.»
«Sehr wohl. Nur sagt ihm bitte, dass ich hier war. Im Auftrag der Prinzessin.»
Der Anführer lachte verächtlich. «Soll das eine Losung sein oder was?»
Sie hielt seinem Blick stand. «Ganz genau. Junker Moritz wird sie verstehen.»
Mit einem Gefühl, als habe sie eben die Welt erobert, trat sie zur Seite und sah den Reitern nach, wie sie davongaloppierten. Ihr Herz tat einen Sprung. Jetzt wusste sie, was zu tun war.
Einen Tag später stand sie unter dem in Sandstein gehauenen, buntbemalten Wappen mit dem Nördlinger Reichsadler und bat um Einlass in die Stadt. Zuvor hatte sie sich an einem Bach sorgfältig gewaschen und brachte nun mit neuerwachtem Selbstbewusstsein ihre Bitte vor: Man möge ihr den Weg weisen zum Zunfthaus der Schneider, sie sei überfallen worden und brauche Schutz und Hilfe. Dabei deutete sie auf die Wundean ihrer Stirn, die sie sich beim Sturz am Bachufer zugezogen hatte.
«Ein Zunfthaus haben die Schneider nicht», gab der Torhüter bereitwillig Auskunft, «aber geh nur in den
Sternen
, dort versammeln sich die Schneider und Tuchscherer. Um diese Zeit ist der Vorgeher mit den Geschworenen sicher noch beim Mittagstisch.»
Eva bedankte sich und wanderte mitten hinein in die von Zwingermauern, starken Türmen und tiefen Gräben umfasste Reichsstadt. Zunächst irrte sie kreuz und quer durch die Gassen, bis sie wieder den majestätisch in den Himmel ragenden Kirchturm vor Augen hatte. Sankt Georg mit seinem hohen Turm sei der Mittelpunkt der Stadt, hatte der Torhüter gesagt, insofern könne sich hier kein Mensch verirren.
Dieser Haderlump von Bartel hatte nicht übertrieben, wenn er Nördlingen als eine der gefälligsten und angenehmsten Städte im südlichen Reich gepriesen hatte – wiewohl die Bürger hier weit weniger protzten als die Regensburger mit ihren Patrizierburgen. Alles wirkte gediegener, gemütlicher, die Gassen waren breit und gepflastert, die Häuser
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