Die Vagabundin
frisch verputzt, einige gar völlig neu errichtet. Die zahllosen großen und kleinen Marktplätze, die Messehäuser mit ihren weitläufigen Laubengängen, die Wein- und Salzlager verwiesen auf die Bedeutsamkeit Nördlingens als Messe- und Handelsstadt. Jetzt, zur Mittagszeit, ging alles sehr geruhsam einher. Die Handwerker saßen mit ihren Knechten und Frauen vor den offenen Läden ihrer Werkstätten und genossen den warmen Spätsommertag.
Eva passierte eine Reihe riesiger Kornschrannen, die in einer Stadt wie dieser sicher bis obenhin gefüllt waren, und gelangte vor die mächtige Pfarrkirche Sankt Georg. Auf einem Rübenmarkt vor der Chorseite packten die Krauterinnen ebenihre Körbe zusammen. Sie erfrischte sich am Brunnen, dann fragte sie eines der Marktweiber nach dem weiteren Weg zum
Sternen
.
«Mei, wie schaust du verhungert aus», murmelte die Frau und reichte Eva ein Stück Semmelbrot aus ihrem Schürzenbeutel. «Du gehst da vorn über den großen Markt, noch am Rathaus vorbei, und dann bist schon in der Baldinger Gass.»
Eva bedankte sich gerührt. Wie freundlich die Menschen hier waren!
Auch der Vorgeher der Schneiderzunft, ein hochgewachsener Mann um die vierzig mit Namen Bernhard Sick, lud sie gleich zu sich und seinen beiden Begleitern an den Tisch. Eva hatte sich ihm als Schneiderknecht Adam Portner, Sohn angesehener Eltern, vorgestellt, dem das Schicksal übel mitgespielt habe. Nun bitte sie die Zunft demütigst um christliches Mitleid und um Hilfe, einen ausgemachten Schelmen zu finden.
Mit einem Wink bedeutete der Vorgeher dem Wirt, etwas zu essen und zu trinken aufzutragen.
«Und nun erzähl, mein Junge.»
Eva nahm einen Schluck Bier, dann begann sie zu berichten, was sie sich zurechtgelegt hatte. «Bei einem Meister in Nürnberg war ich zuletzt in Arbeit. Vergangenen Sonntag bin ich von dort weg, mit einem Zunftgenossen, dem Schneidergesellen Bartel aus Pfäfflingen. Wir wollten zusammen auf Wanderschaft, mit Nördlingen als Ziel. Dieser Bartel hatte mir vorgeschwärmt, welch guten Lohn man hier bei Euch zahlt. Aber bei Schwabach dann hat der Kerl mich ins Gehölz geführt, um zu rasten. Dort» – ihre Stimme wurde kraftloser – «ist er über mich hergefallen, hat mich mit den Fäusten bearbeitet, ohne allen Grund, und ich musste ihm alles Geld und Kleidung geben. Splitternackt war ich, nicht mal meinen Lehrbrief hat er mir gelassen.»
Sie presste sich eine Träne aus den Augen.
«Danach hat er mich gefesselt und wollt mich eben in eine Grube werfen. Da hab ich gebrüllt, was ich konnte, bis ein Fuhrmann vorbeikam. Der hat mich befreit und den Bartel verjagt.»
Einer der Tischgenossen nickte. «Ich denk, der Junge erzählt die Wahrheit. Von diesem Bartel hab ich gehört. Der hat schon mehr als einmal mit seinen Bübereien von sich reden gemacht.»
«Wisst Ihr denn, ob er hier in der Stadt ist?»
«Ich denke, nicht. Davon hätten wir schon Wind bekommen. Aber nun iss erst mal, du siehst fürwahr erbärmlich aus.»
Evas Magen krampfte sich vor Hunger zusammen, als der Wirt ihr eine Schüssel mit Eiersuppe und fetter Wurst vor die Nase stellte. Fast war sie dem Schicksal nun dankbar für die Begegnung mit Bartel.
Nachdem sie den letzten Rest vom Boden gekratzt hatte, fragte Bernhard Sick:
«Und wie ging es weiter?»
«Der Fuhrmann hatte mir ein altes Hemd übergeworfen und mich ins nächste Dorf mitgenommen. Dort, vor einer Herberge, bin ich einem reichen Kaufmann, einem Eisenkrämer aus Schwabach, begegnet. Was für ein herzensguter Mann! Ich war ja noch ganz schwach, da hat er mich verköstigt und für die Nacht beherbergt. Die Mütze hier und die Schuhe hat er mir obendrein geschenkt! Na, und dann bin ich über Oettingen mit letzter Kraft hierhergekommen – auch in der Hoffnung, diesen Diebsgesellen aufzuspüren. Ohne meine Papiere bin ich doch nichts wert in einer fremden Stadt.»
Verzweifelt sah sie den Vorgeher an.
«Nun, du wirst schon anderweitig beweisen können, wer und was du bist. Jetzt sollst du erst mal zu Kräften kommen.»
Bei diesen letzten Worten fühlte Eva tatsächlich so etwas wiekaltes Fieber durch ihre Glieder fahren. Schwindel erfasste sie, und ihre Hände begannen zu zittern.
«Wenn Ihr mir vielleicht für eine Nacht Obdach geben könntet? Dann will ich schon weiterziehen.»
Der Vorgeher warf einen fragenden Blick auf seine beiden Begleiter. «Der Junge braucht dringend Bettruhe. Aber hier im
Sternen
ist kein Plätzchen mehr vakant.»
«Vielleicht
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