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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Lichtschacht des Ratskellers gehockt, um ihrer Schwester nah zu sein und ihr Trost zu spenden. Und um auf ein Wunder zu hoffen.
    Doch das Wunder blieb aus. Am endlichen Rechtstag, einem windigen, für Ende Juni ungewöhnlich kühlen Markttag, zwängte sich der Schultheiß, als Ankläger und Vorsitzender des Gerichts, in seinen Harnisch, gürtete sein Kurzschwert und ließ das Glöcklein am Rathaus läuten. Da wusste jeder in der Bischofsstadt: Das Urteil über Josefina Barbiererin war gefällt. Die Gerichtsherren warteten, bis sich der Platz vor dem Rathaus füllte, dann ließen sie Josefina aus ihrem Kellerverlies heraufholen und vor das Rathausportal schleppen, wo von der Treppe herab das Urteil öffentlich verlesen werden sollte.
    Eva, die sich in die vorderste Reihe gekämpft hatte, wagte die Schwester kaum anzusehen: In verdrecktem Rock stand sie kraftlos neben dem Gefängniswächter, ihr bleiches Gesicht war eingefallen, unter den Augen lagen dunkle Schatten, und vor allem: Eine frevelhafte Hand hatte ihr wunderschönes blondes Haar abgeschnitten. Es reichte nicht mal mehr bis über die Ohren!
    Verzweifelt kämpfte Eva gegen die aufsteigenden Tränen an. Was würde man ihrer Schwester als Nächstes antun? Waswürde ihr als Strafe blühen für ein Verbrechen, das ein anderer begangen hatte? Würde womöglich der Scharfrichter die Strafe vollziehen? Nicht die Prügel oder Staupenschläge vor aller Augen wären dann das Schlimmste, sondern die Berührung durch den Scharfrichter, eine Berührung, die Josefina für immer ausstoßen, für immer als «Unehrliche» brandmarken würde. Ich bin bei dir, wollte Eva ihr zurufen, du bist unschuldig! Laut herausschreien hätte sie das mögen, vor all diesen Maulaffen, doch ihrer Kehle entrang sich nur ein heiseres Krächzen.
    Als die Malefizglocke ein zweites Mal läutete, ging ein Raunen durch die Menge: Neben den Stadtschreiber, der das Urteil in den Händen hielt, war Gallus Barbierer getreten und blickte selbstgefällig, mit fast stolzem Ausdruck in die Runde. Gerade so, als wolle er sagen: Seht her, ich selbst werde sie strafen und meine eigene Tochter ihrer gerechten Sühne zuführen.
    Ein Scheusal war ihr Stiefvater, ein herzloses Ungeheuer! Gewiss, der Scharfrichter als Vollstrecker der Strafe blieb Josefina damit erspart, doch darum war es Gallus Barbierer ganz gewiss nicht gegangen. O nein, mit Sicherheit hatte er sich darum gerissen, in aller Öffentlichkeit die eigene Tochter zu demütigen. Schließlich gab es genug andere Schergen und Steckenknechte außer ihm, die sich mit dieser Amtshandlung gerne ein kleines Zugeld verdient hätten.
    Wie aus weiter Ferne vernahm Eva die Stimme des Schultheißen, der der Delinquentin befahl vorzutreten. Josefina machte einen unsicheren Schritt nach vorn und blinzelte gegen die grelle Sonne, die sich eben zwischen die grauen Wolkenberge schob. Eva begann lautlos zu weinen.
    Derweil lauschten die zwölf Schöffen den Worten des Secretarius, lauschten ihrem eigenen Urteil, als hörten sie es zum ersten Mal:
    «…   und so erkennet der Ehrsame Rat und sein Gericht dievormals erwähnte Josefina Barbiererin aus dem böhmischen Glatz, angenommene Tochter des hiesigen Stadtknechts und Gerichtsdieners Gallus Barbierer, leibliche Tochter des Schneidermeisters Hans Portner und der Meisterstochter Catharina Tuchnerin, als überführt der folgenden Fleischesverbrechen: des frühen Beischlafs und der Unzucht in mannigfachen Fällen sowie der in Unehren empfangenen Leibesfrucht.
    Nach solchem Bekennen sei die Malefikantin um ihrer Missetaten willen zu drei Tagen bei Wasser und Brot gefänglich einzulegen, was indessen bereits abgegolten ist. Item sei die Malefikantin, der Ehrenstraf halber und andern Weibspersonen zum billigen Exemplum, in Geige und Strohkranz dreimal um den Markt zu führen. Item hernach über die Donau zur Stadt hinauszubringen.
    Da nun infolge des unzüchtigen Gebarens der Malefikantin nicht in Erfahrung zu bringen ist, wer ihrer Buhlen das Ungeborene unter ihrem Herzen gezeugt habe, und da des Weiteren der städtische Almosenkasten nicht willens ist, für ein unehelich geborenes Kind aufzukommen, so sei die Malefikantin, zumal unverbürgert und auswärtig, aus unserer Stadt samt ihrer Vorstädte über zehn deutsche Meilen hinaus zu verbannen.
    Milde indessen will der Ehrsame Rat walten lassen angesichts Josefinas Jugend, Einfalt und Weiblichkeit. Item angesichts dessen, dass sie sich zuvor nichts zuschulden hat kommen

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