Die Vagabundin
Treidelkähne anzutreiben, geriet er höchst selten. Sie seufzte. Warum nur konnten sie nicht von ihrer Hände Arbeit leben wie andere anständige Leute auch?
«Hast du ein bisserl Geld mitgebracht?», fragte sie leise.
«Nein.»
Der freudige Glanz aus seinen hellen Augen verschwand, sein Blick wurde stumpf.
«Aber ab morgen werd ich welches haben, wirst sehen. Der Abdecker sucht noch Kloakenkehrer.»
«Bist du toll geworden? Du willst nachts stinkende Abortgruben leeren? Dich für immer unehrlich machen? Weißt du, was das heißt?»
Niklas zuckte die Achseln. «Es wird gut gelöhnt. Einen Viertelgulden auf jede Grube, hab ich gehört. Und besser als Hunde totschlagen ist es allemal.»
«Niemals! Ich verbiete dir das! Und jetzt geh und feg die Stube aus.»
Mit eingezogenen Schultern kehrte Niklas ins Halbdunkel des Hauses zurück. Eva sah ihm nach. Es tat ihr leid, dass sie ihn angefahren hatte. War er doch bereit, die stinkendste und ekelerregendste Arbeit überhaupt anzunehmen, nur damit sie Kleider statt Lumpen tragen und etwas Warmes zu essen auf den Tisch bekommen würden. Aber trotzdem, niemals würde sie zulassen, dass Niklas sich solchermaßen erniedrigte. Sie würde noch heute mit ihrem Stiefvater reden. Es musste ein Ende haben, dass er alles, was sie verdiente, gleich wieder versoff. Oder noch besser: Sie würde den Wirt vom
Rauen Mann
aufsuchen und ihm ihre Lage schildern, damit er ein Auge auf ihn haben würde.
Eva beeilte sich, ihre Wolle fertigzubekommen, schickte Niklas damit zum Meister und machte sich selbst auf den Weg zur Floßlände, in der Hoffnung, dass ihr Vater noch nicht in der Schankstube hockte. Sie hatte Glück. Bis auf einen einbeinigen Greis und ein paar Flößer, die ihr freche Komplimente machten, war die Stube leer. Hinten beim Ausschank, wo es nach einer Mischung aus Starkbier und Unflat stank, fand sie den Wirt. Er spülte gerade in einer Wanne mit trübem Wasser Becher und Krüge aus.
«Gott zum Gruße, Meister», sagte Eva so höflich als möglich. «Ich bin Eva Barbiererin.»
«Ich weiß», gab der Mann knapp zurück, ohne auch nur aufzusehen.
«Es geht um meinen Vater, und ich …»
Sie wurde von einem Tumult unterbrochen. Am Tisch der Flößerleute flogen üble Schimpfworte hin und her, Stühle polterten, Holz krachte gegen Holz. Der Schankwirt sah kaum auf; stattdessen wälzte sich hinter dem Ausschank ein riesiges, fettes Weib hervor, schlug mitten hinein in die krakeelende Männerrunde, dass es nur so klatschte, um anschließend zwei der Streithähne am Kragen zu packen und vor die Tür zu setzen.
Der Greis spendete Beifall. «Gut gemacht, Blattnerin!»
«Was willst?», wandte sich der Wirt jetzt an Eva. Er klang alles andere als freundlich.
«Mein Vater, Gallus Barbierer, der kommt doch jeden Abend hierher.»
«Ja und?»
«Ich … ich bin mir sicher, er trinkt mehr, als ihm guttut.»
«Da magst recht haben.» Der Mann verzog das Gesicht zu einem hässlichen Feixen. «Mehr Leut ertrinken im Becher denn im Meer!»
Er reichte der fettleibigen Alten zwei randvoll gefüllte Krüge. Die Angelegenheit schien für ihn erledigt, aber so leicht ließ sich Eva nicht abspeisen.
«Mein Bruder und ich, wir haben kaum was zu essen. Unser Vater verprasst das ganze Geld. Könntet Ihr nicht …?»
«Ich wüsst nicht, was mich das angeht», unterbrach er sie.
«Vielleicht doch. Würfeln und wetten tut er nämlich auch, hier bei Euch. Ihr wisst, dass das verboten ist!»
«Potzhunderttausend Sack voll Enten», mischte sich die Frau jetzt ein, «die kleine Metze will uns drohen! Schau dich besser nach einer Ehegefährtin für deinen sauberen Vater um. Das meiste Geld haut er nämlich für lose Weiber auf den Kopf! Und jetzt verschwind, sonst fliegst arschlings hier raus.»
Hilfesuchend blickte Eva auf den Wirt, doch der kniff nur böse die Augen zusammen und wies mit dem Kopf zur Tür.
«Raus hier! Kannst froh sein, wenn wir deinem Vater nichts von deinem Besuch hier ausposaunen.»
Irgendwer indessen musste ihrem Stiefvater doch davon erzählt haben, denn im Morgengrauen weckte er sie mit einem groben Tritt.
«Du bleibst im Bett», befahl er seinem Sohn. «Ich hab mit deiner Schwester ein Hühnchen zu rupfen.»
Dann zerrte er Eva die Stiege hinunter, hinter den Vorhang seines Verschlags. Sein Atem stank nach Branntwein.
«Dass dir Donner und Hagel in die Goschn schlagen!», stieß er hervor. «Mir vor aller Welt eine Schelle anhängen!»
Sie unterdrückte
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