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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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lassen. Item angesichts dessen, dass sie ihren Zustand der Schwangerschaft von vorneherein zugegeben und niemals verheimlicht hat, um etwa die Leibesfrucht oder das Neugeborene heimlich zu töten. Daher verzichte man auf Pranger und Staupenschlag. Als weiteres Zeichen unserer Mildherzigkeit sei ihr erlaubt, nach drei Jahren und drei Tagen in ihr Elternhaus zurückzukehren, sofern sie gute Zeugnisse und guten Leumund mit sich führt.»
    Mit gebrochener Stimme, den Kopf gesenkt, kam Josefinader Aufforderung nach, ihr Urteil anzunehmen. «Lauter!», schnauzte der Schultheiß, als sie bei Gott dem Allmächtigen den Eid schwor, niemals für Urteil und Bestrafung Rache zu nehmen an niemandem. Und dann geschah das für Eva immer noch Unfassbare: Der eigene Stiefvater setzte seiner Tochter den Strohkranz aufs Haar, hieß sie, die Hände vor den Kopf zu nehmen, und legte ihr um Hals und Handgelenke die hölzerne Schandgeige. Führte sie an der schweren Kette die Stufen hinunter, mit zwei Wärtern vorneweg, die ihnen eine Bresche schlugen durch die Masse der Gaffer und Geiferer, um bald darauf in Richtung Markt zu verschwinden.
    Eva brachte es nicht übers Herz, sich Josefinas schmachvollen letzten Gang durch die Stadt anzuschließen. Leer und leblos fühlte sie sich, als sie eine menschenleere Gasse zur Donaubrücke einschlug, um sich dort von ihrer Schwester zu verabschieden. Sie merkte nicht, wie feiner Regen einsetzte und sich mit ihren Tränen auf den Wangen vermischte, sie bis auf die Haut durchnässte. Als sich schließlich der Menschenstrom dem Brückentor näherte, sah Eva zu ihrer Erleichterung, dass man Josefina die Geige bereits abgenommen hatte. Nur um die Handgelenke hing jetzt lose ein Strick. Eva trat ihrem Vater in den Weg. Sofort hoben die Wächter ihre Knüppel, doch dann ließ man sie gewähren: Sie durfte ihre Schwester zum Abschied umarmen.
    Eva suchte nach Worten des Trostes, doch vergeblich. Sie machte sich nichts vor: Das, was Josefina erwartete, war schlimmer als Rutenschlag oder Pranger. Schutzlos und so gut wie mittellos trieb man sie in die Fremde. Nur ein geringer Teil des Lohns war ihr ausbezahlt worden, den Großteil hatte Lindhorn für die zu begleichende Atzung im Gefängnis einbehalten, für ein lächerliches bisschen an Wasser, Brot und Stroh.
    Eine unerträgliche Wut stieg in ihr auf. Welch ein Hohn, dasUrteil über Josefina als milde zu bezeichnen! Kam das, was ihre Schwester erwartete, nicht eher einem Todesurteil gleich? War ihr nämlich die Schwangerschaft erst einmal anzusehen, würde sie nirgendwo mehr Unterschlupf finden, da es Wirten wie Bürgersleuten bei Strafe verboten war, eine ortsfremde Kindbetterin aufzunehmen. Und selbst wenn sie ihr Kind auf freiem Feld bekam oder in einem Stall wie dereinst die Heilige Mutter Gottes – was dann? Wie sollte sie sich und das Neugeborene jemals durchbringen? Kein Mensch nahm eine Frau mit einem Säugling in Lohn und Brot, nicht mal als Gänsemagd oder Milchmädchen. Da blieb ihr doch nur das Betteln und Stehlen, falls sie sich nicht entschied, das Kind im Findelhaus abzugeben und sich allein durchzuschlagen.
    «Geh zu unserer Muhme Ursula, nach Straubing, die wird dich gewiss aufnehmen», stammelte Eva jetzt, als Gallus Barbierer sie schon beim Arm zog. «Und ich bete für dich. Jeden Tag werd ich für dich beten, bis du wieder bei uns bist.»
    «Ich komm nicht zurück. Nie wieder.»
    Einer der Wächter gab Josefina einen Stoß in den Rücken. «Los jetzt, aufi!»
    Da begann Eva zu schreien: «Sie hat nichts getan! Meine Schwester hat nichts Böses getan! Dieser Konrad hat sie betrogen und belogen, dieser Hundsfott! Dieser Saukerl!»
    Ihre Stimme überschlug sich, und sie begann, mit geballten Fäusten gegen ihren Vater und die beiden Wächter zu gehen. Die Umstehenden lachten, einer rief: «Jagt doch diese Geckin gleich mit aus der Stadt!», und es dauerte einige Zeit, bis es den Männern gelang, Eva die Arme auf den Rücken zu drehen und die Hände zu fesseln. Gallus Barbierer schlug ihr einige Male hart ins Gesicht.
    «Das hast jetzt davon», sagte er. «Gib nur acht, dass du nicht grad so endest wie deine verhurte Schwester.»
    Eva starrte ihn an. Plötzlich wusste sie, wer schuld an allem war: nicht die Richter, nicht dieses Herrensöhnchen Konrad – nein: einzig und allein Gallus Barbierer! In diesem Augenblick empfand Eva nur noch brennenden Hass für ihren Stiefvater.

6
    Eva war, als reiße eine dunkle Macht ihr Herz nach und nach

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