Die Vagabundin
angezeigt. Wegen mannigfacher Unzucht nämlich und in Unehren empfangener Leibesfrucht. Nicht nur an dieses Herrensöhnchen hat sie sich nämlich rangeschmissen – für zig hergelaufene Mannspersonen hat sie die Haxn breitgemacht! Die Wäscherin kann’s bezeugen.»
Da begann Josefina zu schreien. «Diese Lügnerin! Diese dreckige Schlampe!» Ihre Stimme überschlug sich. «Nichts davon ist wahr! Konrad wollt mich heiraten.»
Ihr Stiefvater lachte böse.
«Das kannst dem Richter erzählen. Ich jedenfalls bring dich jetzt zum Ratsgefängnis und werd dich höchstselbst gefänglich einziehen, in meinem Amt als Büttel.» Er spuckte aus. «Hab doch immer gewusst, was für ein verdorbenes Stück du bist.»
Die Hoblerin fasste ihn beim Arm. «Hört zu, Gallus Barbierer. Hört mir zu als Mensch und Nachbar, als Vater dieser beiden Mädchen. Lasst uns zusammen beim Magistrat eine Fürbitte einbringen. Dann kommt sie vielleicht mit einer Geldstrafe davon und mit einer Verbannung ins väterliche Haus. Ich fleh Euch an: Bittet mit mir um Gnade und zeigt Euch bereit, Josefina und ihr Kind, wenn sie denn schwanger ist, bei Euch aufzunehmen.»
«Niemals!» Er schüttelte ihren Arm ab.
«Aber sie ist Eure Tochter!»
«Was gehen den Bock seine Lämmer an? Und von wegen Tochter – sie ist eine Hure, eine ausgestrichene, gottverdammte Erzhure!»
5
Fünf Tage musste Josefina im dunklen Verlies des Ratskellers auf einer Schütte Stroh verbringen, fünf endlose Tage bei Wasser und Brot, während über ihr das Schultheißengericht tagte und ihr Fall zum neuen Stadtgespräch wurde. Ein Dutzend ehrbarer Gerichtsherren, darunter auch der Ratsherr und Handelsmann Emmanuel Lindhorn, sahen sich vor die Aufgabe gestellt, die Wahrheit im Fall der Lindhorn’schen Dienstmagd ans Licht zu bringen, über Schuld und Unschuld zu befinden, um danach nach bestem Wissen und Gewissen ein Urteil zu fällen. Der Beweis für das unzüchtige Verhalten der blutjungen Magdwar übrigens schnell erbracht: Gleich am ersten Tag hatte man ihr die städtische Hebamme ins Loch geschickt, die nicht lange brauchte, um mit Gewissheit zu verkünden, dass da im Mutterleib ein strammes Kindlein heranwachse.
Ungleich schwieriger gestaltete sich die Ermittlung, wen Josefina Barbiererin alles verführt hatte und wer demnach als Kindsvater in Betracht kam – beharrte die Malefikantin doch darauf, nur dem Kaufmannssohn Konrad Lindhorn, und zwar in reiner Liebe, beigewohnt zu haben. Dem entgegen standen jedoch die glaubwürdige Aussage der Wäscherin Madlena Müllerin über Josefinas zahllose Männerbekanntschaften sowie die Stellungnahme der Hausherrin selbst: Auf sie habe die Magd von Anfang an verdächtig gewirkt – sogar ihrem lieben Gemahl habe sie schöne Augen gemacht, sei ihm nie anders als mit funkelndem Blick und bebendem Busen begegnet – eine Darstellung, die Emmanuel Lindhorn gegenüber seinem Collegium allerdings vehement zurückwies! Er räumte lediglich ein, dass Josefina sich seinem jüngsten Sohn an den Hals geworfen habe wie eine Hübschlerin.
Was diesen Punkt betraf, waren sich die zwölf Gerichtsherren rasch einig: Konrad Lindhorn war, wie jeder gesunde Mann in jungen Jahren, der Triebhaftigkeit einer Frau und deren Leib besonders ausgeliefert. Da war es diesem losen Weib wohl ein Leichtes gewesen, den armen Burschen mit Unkeuschheit zu reizen und zu locken, womöglich gar bis hin zum Eheversprechen. Deutete auf die Verderbtheit des Mädchens nicht auch die Tatsache, dass keine einzige Fürbitte seitens Familie oder Verwandtschaft, seitens Freunden oder Nachbarn eingegangen war? – Von dieser alten, kranken Witwe einmal abgesehen, die der Armenkasse neuerdings schwer zur Last lag und wohl auch nicht mehr ganz richtig im Kopf war.
Dies alles erfuhr Eva aus dem Geschwätz der Leute überJosefina, die Tochter des böhmischen Büttels, die ihrer Familie solche Schande gemacht hatte. In ganz Passau samt seinen Vorstädten an Inn und Ilz schien es durch die Gassen zu hallen, ein Geschwätz voller Häme und Schadenfreude, in dem noch jede Winzigkeit und Nichtigkeit in den grellsten Farben ausgeschmückt war. Jedes Wort, jedes Grinsen und Feixen diesbezüglich schmerzte Eva wie ein Schlag ins Gesicht. Sie schlief kaum noch in jenen Tagen, aß nichts mehr, sprach nichts mehr, und wären Niklas und ihr Vater nicht gewesen: Sie hätte auch nicht mehr gearbeitet, sondern sich stattdessen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang vor den winzigen
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