Die Vagabundin
Dorf unter einer dicken Schneedecke begraben. Tränen der Enttäuschung schossen ihr in die Augen, als sie beobachtete, wie die Flocken unaufhörlich vor dem kleinen Dachfenster hin und her wirbelten. Sie hatte ihr Bündel am Vorabend also völlig umsonst gepackt.
Niklas trat neben sie.
«Müssen wir jetzt hierbleiben?», fragte er.
«Ich weiß nicht. Vielleicht hört’s ja wieder auf mit Schneien.»
Aber dem war nicht so. Fast ohne Unterbrechung schneite es die nächsten Tage, und Eva wurde klar, dass damit der Marsch durch die Berge unmöglich wurde.
Wenzel Edelman beteuerte ein ums andere Mal, kein Mensch habe mit einem so frühen Wintereinbruch gerechnet, und seineSchwester kam nicht aus dem Schelten heraus, was er da jetzt angerichtet habe: zwei hungrige Mäuler mehr zu füttern – wie er sich das vorstelle!
10
In diesem Winter wurde Eva zur Frau. Schon seit einiger Zeit hatte sie gespürt, dass da etwas geschah mit ihrem Körper. An manchen Tagen stach und zog es in ihren Brüsten, dann wieder erwachte sie des Nachts, weil ihr Unterleib sich schmerzhaft verkrampfte. Hinzu kam, dass sie gegenüber ihrem Bruder immer gereizter wurde: Dessen langsame, bedächtige Art, vor allem bei der täglichen Arbeit, konnte sie zur Weißglut treiben. Und jedes noch so kleine Missgeschick ließ sie beinahe in Tränen ausbrechen.
Eines Morgens dann entdeckte sie den hässlichen rotbraunen Fleck auf ihrem Laken. Sie hatte es geahnt, schließlich war ihre Schwester noch jünger gewesen, als diese Geißel des weiblichen Geschlechts sie getroffen hatte. Dennoch erschrak sie zutiefst. Irgendwie hatte sie in dem irrigen Glauben gelebt, der Herrgott würde sie damit verschonen.
Sie wusste nur ganz vage Bescheid um diese Dinge, andere Mädchen in ihrer Lage würden jetzt die Mutter oder ältere Schwester um Rat fragen. Aber sie hatte keine Menschenseele. Und sie wollte um Himmels willen nicht, dass irgendwer hier im Haus davon erfuhr.
Vergeblich versuchte sie, als sie allein in der Schlafkammer war, den Fleck mit Wasser und Schwamm zu entfernen. Er wurde zwar heller, dafür so groß wie ein Topfdeckel. Wütend zerrte sie das Laken von der Bettstatt, knüllte es zusammen und stopfte es sich unter die Schürze. Dann schlich sie die Treppehinunter, vorbei an der Küche, aus der das Stimmengewirr der Kinder drang, hinüber in den Stall. Dort, in einem kleinen Vorraum, stand der Korb mit der Schmutzwäsche. Sie nahm das kleine Messer, das neben anderem Werkzeug am Haken hing, und trennte säuberlich einen schmalen Streifen des Leintuchs ab. O Gott, dachte sie, wenn jetzt jemand hereinkam! Mit zitternden Händen drehte sie das Leinen zu einer Wurst und band es sich zwischen die Schenkel. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie lange sie sich auf diese Weise würde reinlich halten können.
Als sie Schritte hörte, zwängte sie das restliche Tuch zuunterst unter den Wäschehaufen. Zum Glück kam heute die Waschfrau des Dorfes und würde den ganzen Packen mitnehmen.
«Was treibst du da?»
Eva fuhr herum. Im Türrahmen stand Odilia Edelmanin. Ehe sich Eva versah, hatte sie das vermaledeite Leintuch aus dem Korb gezogen.
«Der Niklas – der hat wohl heute Nacht –»
«Das war nicht dein Bruder», unterbrach die Hausherrin sie barsch. «Grutzefix! Und ich dacht immer, du wärst noch nicht so weit.»
«Es ist das erste Mal», flüsterte Eva und senkte den Kopf. Sie schämte sich unendlich.
«Geh jetzt rüber zum Essen, wir reden nachher miteinander.»
Nach der Morgensuppe schickte Odilia Edelmanin die anderen hinaus. Noch immer außer sich, sagte sie: «Wenn ich das geahnt hätte! Wie alt bist du überhaupt?»
«Eben fünfzehn.»
«So schaust net grad aus.» Sie schüttelte den Kopf. «Das tut nicht gut, eine Jungfer und ein Witwer unter einem Dach. Du schläfst ab heut bei mir, Lisbeth soll wieder zu den Jungs.»
Dann erklärte sie Eva alles, was sie über die weibliche Gerechtigkeit wissen musste, über die Waschungen in den Tagen der Unreinheit, den Umgang mit den Binden und vor allem die Gefahren, die ihr jetzt drohten.
«Lass dich ja nicht mit Kerlen ein! Das würd mir noch fehlen, eine in Unehren beschlafene Dirne im Haus! Ich könnt Wenzel den Hals umdrehen, dass er dich hier angeschleppt hat.»
So erniedrigend dieses Gespräch mit ihrer Gastmutter auch war, wenigstens wusste Eva jetzt Bescheid. Was nichts an der Tatsache änderte, dass sie sich in den nächsten Wochen ziemlich elend fühlte. Hinzu kam, dass
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