Die Vagabundin
Hausfrau scheuchte sie zwar von früh bis spät herum, maulteund schimpfte dabei ohne Unterlass, aber Eva merkte bald, dass das gar nicht ihr galt. Odilia Edelmanin schimpfte nämlich auch, wenn sie sich allein glaubte. Dieses ewige Maulen gehörte zu ihr wie ihre Ordnungsliebe und ihre unglaublichen Kochkünste. Noch aus den einfachsten Zutaten konnte sie die köstlichsten Mahlzeiten bereiten. Und ganz nebenbei lernte Eva, wie man butterte, Käse und Quark machte, Fleisch räucherte und einsalzte, wie man für den Winter Obst, Pilze und Hülsenfrüchte dörrte oder Gemüse sauer einlegte. Ansonsten war sie damit beschäftigt, Küche, Wohnstube und die Schlafkammern von Wenzel Edelman, seiner Schwester und den Kindern, wo auch sie nächtigten, sauber zu halten. Kein Staubkörnchen, kein Strohhalm durfte auf den Böden und Ablagen zu finden sein, alles musste an seinem Platz stehen, wenn sie sich abends zu Bett begaben. Eva gefiel das nicht schlecht, denn obwohl der Schneidergeselle und seine Schwester recht sparsam lebten, erinnerte hier so gar nichts an das armselige Leben, das sie in Passau geführt hatten.
Sorgen machte sie sich nur um Niklas. Die Hausherrin jagte ihm nach wie vor große Angst ein. Hinzu kam, dass die beiden Kleinen ihn ärgerten, wo sie nur konnten, und er es wegen des Altersunterschieds nicht wagte, sich zu wehren. Lisbeth, mit der er die meiste Zeit zusammen war, im Stall, im Gemüsegarten oder drüben am Waldrand beim Nüsse- und Pilzesammeln, begegnete ihm mit Eiseskälte – sie schien eifersüchtig zu sein auf dieses neue Kind, das ihr da ins Haus geschneit war. Gleich nach der ersten Nacht hatte sie durchgesetzt, dass sie aus der Kinderkammer zu ihrer Muhme ins Bett wechseln durfte. Niklas schwatze und heule im Schlaf, hatte sie sich beschwert, und die Zwillinge hatten sich darüber auch noch lustig gemacht.
«Sei doch froh drum», hatte Eva versucht, den kleinen Bruderzu trösten. «So haben wir viel mehr Platz in dieser engen Kammer.»
Wenzel Edelman schien von alldem nichts mitzubekommen. Die Vormittage über war er damit beschäftigt, den Holzvorrat anzulegen und Winterfutter für die Tiere zu beschaffen, die Nachmittage dann saß er in der Wohnstube, die von der Küche her notdürftig beheizt wurde, und nähte und flickte an der Winterkleidung seiner Familie.
Im Großen und Ganzen hatten sie es gut getroffen, fand Eva. Doch mit jedem Tag, der verging, wurde ihre Unruhe größer. Alles in ihr drängte danach, endlich die Schwester zu finden. Als Edelman nach zehn Tagen immer noch keine Anstalten machte, nach Straubing aufzubrechen, wurde es Eva zu bunt. Sie hatten bald Martini, und draußen wurde es Tag für Tag kälter. So suchte sie ihn kurz vor dem Nachtessen in der Stube auf.
«Warum sind wir immer noch hier?», fragte sie ohne Umschweife.
«Weil ich mit meiner Arbeit noch nicht fertig bin.» Er ließ Nadel und Faden sinken und sah sie aus seinen hellen Augen an. «Gefällt’s dir denn nicht bei uns?»
«Doch – schon. Aber Ihr hattet versprochen, uns nach längstens einer Woche zur Muhme zu bringen.»
Wenzel Edelman seufzte. «Nun gut – dann sag ich es dir halt. Es hätt eine Überraschung geben sollen. Hier» – er breitete den dunkelgrünen Lodenmantel, an dem er gerade arbeitete, auf der Tischplatte aus –, «der ist für dich. Ein Wintermantel, warm und regenfest. Er hat meiner lieben Frau gehört, und ich hab ihn für dich umgearbeitet.»
Wortlos starrte Eva auf den Mantel. Noch nie hatte sie ein solch wertvolles Stück besessen. Sie war hin und her gerissen zwischen Freude, Dankbarkeit und Ärger darüber, dass sich wegen dieses Mantels ihr Aufbruch verzögerte.
«Das – das kann ich nicht annehmen. Niemals», sagte sie.
«Aber ja. Das gute Stück liegt nur unnütz in der Truhe herum.»
«Ihr könntet es verkaufen.»
«Solche Dinge verkauft man nicht. Er ist für dich, keine Widerrede. Und für Niklas hab ich einen alten Überwurf von mir umgearbeitet. Nicht besonders schön, aber aus flauschigem, warmem Grautuch. Damit kommt ihr zwei gut durch den Winter.»
Angesichts dieser Großzügigkeit schämte sie sich nun fast über ihren Ärger. «Wann also reisen wir?», wagte sie dennoch zu fragen.
Er sah zum Fenster. Es war längst dunkel draußen, Vollmond herrschte, und eben jetzt schob sich dichtes Gewölk vor das leuchtende Rund.
«Übermorgen früh. Ganz gewiss.»
Als Eva am übernächsten Morgen aufstand und ans Fenster trat, lag das kleine
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