Die Vagabundin
ist mein Leben gar nicht. Ich bin gern unterwegs, da bekomm ich was zu sehen von der Welt. Um ehrlich zu sein, brenne ich jetzt schon wieder drauf, dass es losgeht mit dem Wandern.»
Er blieb stehen und sah sie an. Auf seinem Spitzbart hatten sich Eiskristalle gebildet, die in der Nachmittagssonne glitzerten. «Wär da nur nicht der Abschied von dir und Niklas. Ihr seid mir sehr ans Herz gewachsen.» Seine Stimme zitterte ein wenig, als er fortfuhr: «Könntest du dir vorstellen, bei mir inLohn und Brot zu bleiben? Ich glaub, du bist aus ähnlichem Holz geschnitzt; dir macht es nichts aus, von Ort zu Ort zu ziehen.»
Für einen kurzen Moment sah es aus, als wolle er ihre Hand nehmen. Dann aber griff er sich an den Umhang und schlug sich die Kapuze über den Kopf. «Was wollt ihr bei eurer Muhme? Ebenso gut könntet ihr bei meiner Schwester und mir eine Familie finden. Selbst Niklas hat sich eingewöhnt. Hast du bemerkt, dass er und Lisbeth in letzter Zeit ein Herz und eine Seele sind?»
«Es ist – es ist alles recht gut gemeint von Euch. Aber ich muss nach Straubing. Ich hab die Hoffnung, dass unsere Schwester dort ist. Es ist allein wegen meiner Schwester.»
«Hör zu, Eva, machen wir es doch folgendermaßen: Nach der Schneeschmelze bring ich euch nach Straubing, wie versprochen. Wenn deine Schwester dort gar nicht ist, bleibt ihr beide bei mir, du als meine Näherin. – Was hältst du davon?»
Aber Eva schwieg. Sie mochte nicht einmal daran denken, dass ihr Weg nach Straubing umsonst sein könnte.
«Weißt du, was Lisbeth mir versprochen hat?» Niklas, der Eva beim Auskehren der Schlafkammern half, strahlte.
«Was?»
«Dass sie mir den Teufelstisch zeigt.»
«Den Teufelstisch?»
«Das ist ein Tisch aus Felsbrocken, höher als jeder Baum. Der Teufel hat ihn sich gebaut, weil er Mahlzeit halten wollt. Ein ganz gruseliger Ort, und Lisbeth sagt, da braucht’s schon einen Scheffel Mut, dorthin zu gehn. Da spukt es nämlich noch immer.»
«Und wo soll das sein?»
«Drüben bei Bischofsmais. Sobald es warm ist, im Frühjahr, will sie mit mir dorthin.»
«Ach, Niklas, hast du denn vergessen, dass wir im Frühjahr gar nicht mehr hier sind?»
Niklas starrte sie an. «Ich will aber gar nicht fort!»
«Blödsinn. Du willst doch auch Josefina wiedersehen.»
Er stampfte mit dem Fuß auf. «Nein, ich will hierbleiben! Lisbeth ist meine Freundin.»
Eva seufzte. Sie konnte den kleinen Bruder nur zu gut verstehen. Kaum hatte er sich irgendwo eingewöhnt, riss sie ihn schon wieder fort. So war es bei den Hauflerbuben gewesen, und so war es hier. Allein ihm zuliebe hoffte sie, dass ihr Wanderleben bald ein Ende finden würde. Einmal noch mussten sie sich auf den Weg machen. Dabei war ihr selbst mulmig zumute, wenn sie daran dachte, dass es bald so weit war. Die Tage wurden spürbar länger, und der Schnee in den Tälern begann zu schmelzen. Jetzt brauchte es nur noch ein paar windige Tage, damit die verschlammten Wege trockneten, dann konnten sie losziehen. Sie würde Wenzel Edelman vermissen, selbst dessen ewig grantelnde Schwester. Ein warmes Nest war dieses Haus ihnen geworden. Was sie hingegen in Straubing erwartete, war völlig ungewiss.
«Du wirst neue Freunde finden», sagte sie lahm. «Und jetzt mach hin. Wir müssen noch Rüben schneiden fürs Mittagessen.»
An diesem Abend bat der Schneider Eva in die Wohnstube. Odilia Edelmanin war bereits zu Bett gegangen, ein leichter Katarrh hatte sie erwischt.
«Trink einen Schluck mit mir.»
Er goss Eva einen Becher von dem starken Märzenbier ein, das er heute als Lohn für ein neues Wams erhalten hatte, dann füllte er seinen eigenen halbleeren Krug wieder voll und trank.
«Wunderbar, dieses Bier! Hör zu, Eva, ich habe mir wasüberlegt. Morgen geh ich nach Bodenmais und schicke einen Boten nach Straubing. Dann wissen wir, ob deine Schwester dort ist.»
Erwartungsvoll sah er sie an.
Statt einer Antwort nahm sie einen Schluck. Das Bier schmeckte würzig und frisch.
«Es fällt mir einfach schwer», fuhr Edelman fort, «euch beide gehen zu lassen. Wir könnten es so gut miteinander haben. Und weißt du etwa, ob ihr bei eurer Muhme willkommen seid? Hier jedenfalls seid ihr es.»
Als Eva immer noch schwieg, rückte er neben sie auf die Eckbank und nahm ihre Hand. «Hast du mich denn nicht ein bisserl gern?»
«Doch, ja», stotterte sie verunsichert, was nicht einmal gelogen war.
«Bitte, Eva, bleib hier bei uns!» Seine Stimme nahm jetzt einen anderen
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