Die Vagabundin
Mann noch ein ergebenes Lächeln, dann zogen sie davon mit ihren Gaben.
«Das Brot ist uralt», maulte Theres, als sie außer Sichtweite des Klosters waren. «Der Alte würd sich seinen letzten Zahn dran ausbeißen.»
«Mir schmeckt es», sagte Eva mit vollem Mund. Sie fand ihre neue Weggefährtin reichlich undankbar, gleichzeitig konnte sie sich ihre Bewunderung für Theres’ selbstsicheres Auftreten nicht verhehlen. Von ihr könnte man einiges lernen.
Es ging gegen Mittag, als sie wieder auf der Handelsstraße marschierten, die sich jetzt ein großes Stück vom Donaustrom entfernt hatte. Der Himmel zog sich schiefergrau zusammen.
«Hoffentlich hält das Wetter bis heut Abend.» Theres sah mit finsterem Blick nach oben. «Hab keine Lust, mich bei den Herrschaften im schlammbespritzten Rock vorzustellen.»
Doch sie hatten kein Glück. Sie kamen gerade bis zum nächsten größeren Dorf, das im Schutz eines mächtigen Burgschlosses lag, als die ersten dicken Tropfen vom Himmel prasselten. Eva war froh um ihren kostbaren Mantel, Niklas um seinen viel zu langen Umhang, die drei Mädchen hingegen fluchten: Sie waren in kürzester Zeit nass bis auf die Haut. So blieb ihnen nichts anderes, als der großen Schar der Wanderer zu folgen, die in den Schutz einer Fremdenherberge strömten.
So schmuck und wohlhabend die Häuser, Klöster und Burgen entlang dieser berühmten Handelsstraße wirkten, so schäbig zeigte sich diese Unterkunft. Ganz offensichtlich profitierte der Wirt von den Nöten der Reisenden, die schlechtes Wetter oder andere Unbill in seine Arme trieben, denn freiwillig würde in seiner halbverfallenen Hütte wohl niemand übernachten, wollte er sich nicht die Krätze oder Schlimmeres holen. Die flache, zugige Bretterhütte teilte sich in zwei Räume auf: einen größeren Schankraum mit grobgezimmerten Tischen und Bänken und einen kleinen Schlafsaal, aus dem es nach ungeleertem Nachtgeschirr stank. Der Holzboden war mit gehackten Binsen bestreut und hätte längst wieder ausgemistet gehört, so übersät war er mit abgenagten Knochen, mit Rotz- und Speichelbatzen. Dazu kroch unter den beiden einzigen Fenstern der Schimmel die Wände hoch, und hinter der Theke tropfte es durch das undichte Dach in einen Eimer.
Theres verzog das Gesicht, und selbst Eva, die keinerlei Ansprüche an die alltäglichen Gegebenheiten stellte, grauste es davor, hier womöglich nächtigen zu müssen.
«Vielleicht hört’s wieder auf mit Regnen und wir können noch ein Stück weiterwandern.»
Theres nickte. «Setzen wir uns so lang dort in die Ecke.»
Sie ergatterten gerade noch rechtzeitig eine freie Bank, auf die sie sich alle fünf nebeneinanderquetschten, dann gab es keineinziges freies Plätzchen zum Sitzen mehr. Binnen kürzester Zeit war die Luft geschwängert von den Ausdünstungen der Gäste, ihrer nassgeregneten Kleidung und dem stinkenden Fell der Hunde und Ziegen, die sich zwischen den Tischreihen herumdrückten. Unterhalten konnten sie sich nur noch schreiend, so gewaltig war der Lärm rundum angeschwollen.
«He, Wirt, wo bleibt unser Weißbier?», brüllte der Mann, der ihnen gegenübersaß.
«Kommt schon.» Krachend setzte der Wirt, ein kahlköpfiger Mann in der speckigen Lederschürze eines Hufschmieds, zwei Krüge auf dem Tisch ab.
«Was ist mit euch?», wandte er sich an Theres.
«Wir warten noch ab.»
«Nichts da! Entweder ihr bestellt was, oder ihr fliegt arschlings vor die Tür.»
«Hast du Geld für uns?», flüsterte Theres Eva ins Ohr. «Du kriegst es zurück, Ehrenwort.»
Eva kämpfte mit sich, ob sie etwas von ihren kostbaren Ersparnissen herausrücken sollte, als der Mann vor ihnen eingriff.
«Bring den feschen Madln einen Krug auf meine Rechnung. Gehört der Kleine auch zu euch?»
Eva nickte.
«Also: Starkbier für die Madln, Dünnbier für den Zwerg. Gestatten: Mein Name ist Vinzenz Fettmilch, und wer darüber lacht, dem hau ich eine in die Goschn.» Dabei lachte er selbst so laut, dass es dem Getöse eines Donners gleichkam. Obwohl er sich so grob gab und von massiger, hünenhafter Gestalt war, hatte sein Äußeres doch etwas Gefälliges. Gekleidet war er wie ein Handwerksmeister: aus gutem Barchent sein Wams mit blütenweißer Halskrause, über den Schultern ein kurzer schwarzer Überwurf. Auf dem kinnlang gestutzten schwarzen Haar trug ereinen hohen Hut mit weißem Federschmuck, den er auch bei Tisch nicht abnahm. Sein bartloses, ebenmäßig geschnittenes Gesicht war erstaunlich glatt,
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