Die Vagabundin
in den Eimer neben der Theke.
Fettmilch erhob sich.
«Na, dann will ich mal die Zeche zahlen und nach den Viechern schauen. Sobald der Regen ein bisserl nachlässt, geht’s los.»
Keine Stunde später krochen sie unter die dunkle Plane des Leiterwagens. Der Regen hatte tatsächlich nachgelassen, im Westen hellte sich der Himmel bereits auf. Allzu bequem hatten sie es allerdings nicht. Eingezwängt zwischen Kisten, Körben und allerlei Gerümpel, kauerten sie auf einer Lage Stroh unter der Plane, die so niedrig hing, dass sie ihre Köpfe berührte. Beijedem Schlagloch prallten sie gegeneinander, es war dunkel und stickig. Aber sie hatten es wenigstens trocken und einigermaßen warm.
Niklas kuschelte sich an seine Schwester.
«Was weißt du eigentlich über unsre Muhme?»
«Nicht viel. Aber sie ist die Schwester unserer Mutter. Sie ist ganz bestimmt eine sehr liebe Frau.»
«Aber warum kennen wir sie gar nicht? Warum lebt sie so weit weg und nicht bei uns in Passau?»
«Dummerchen! Hast du denn vergessen, dass wir aus dem böhmischen Glatz stammen?» Eva musste lächeln. Wahrscheinlich konnte sich Niklas an seine Geburtsstadt gar nicht mehr erinnern. Zärtlich legte sie den Arm um seine knochigen Schultern und sagte:
«Also, gib acht: Unsere Muhme Ursula ist aus Glatz fort, da warst du, glaub ich, noch gar nicht auf der Welt. Ich selbst war noch ein kleines Kind. Ich kann mich nur erinnern, dass ihr blasses Gesicht mit dem dunklen Haar grad so aussah wie das Marienbildnis von Sankt Georg. So schön war sie! Irgendwann ist sie einem bairischen Kaufmann begegnet, der hat sie geheiratet und mit sich genommen. Er soll sogar Ratsherr sein in Straubing. Und sie haben Kinder, ich hab mal gehört, dass …»
Sie unterbrach sich, denn ihr Bruder war eingeschlafen. Hoffentlich hatte ihre Muhme tatsächlich etwas von der gütigen, großherzigen Art ihrer Mutter. Niklas nämlich brauchte mehr als alles andere ein neues Zuhause.
Neben sich hörte sie Christina wohlig seufzen.
«So splendiden Leuten bin ich ja noch nie begegnet. Dass wir einfach so mitfahren dürfen! Normalerweise muss man dafür ordentlich berappen.»
«Normalerweise», sagte Eva leise, «nehmen solche Leut auch einen Obolus, wenn sie eine Anstellung vermitteln. Das weißich von meiner Schwester. Hoffentlich kommt das dicke Ende nicht nach.»
Sie blickte nach vorn zum Kutschbock, wo sich, gleich einem Scherenschnitt, die Umrisse der beiden gegen die einzige Öffnung nach außen abzeichneten. Jetzt steckten sie die Köpfe zusammen, doch zu hören war bei dem Gerumpel hier hinten nichts.
«Mein Gott, was bist du schwarzgallig.» Das war Theres, deren Gesicht Eva im Dunkeln nur erahnen konnte. «Kannst du unser Glück nicht einfach genießen?»
In diesem Moment kam ihr Wagen zum Halten, und man hörte von draußen Männerstimmen. Schon wieder eine Zollstelle. Es wimmelte auf dieser Handelsstraße nur so davon. Noch wer mit dem kleinsten Karren unterwegs war, musste alle naselang Wegegeld und Brückenzoll, Ufer- und Saumzoll, Grenz-, Wiesen-, Schutz- und Passzoll, Stadt- und Pflasterzoll abdrücken. Dazu kamen für die Fuhrwerke noch, wenn es bergig wurde, die Vor- und Beispannkosten. Da musste es einen nur noch mehr wundern, dass der Schlossermeister keinen einzigen Heller verlangte.
«Es geht gleich weiter», rief Vinzenz Fettmilch nach hinten. «Falls ihr Durst habt, liegt da irgendwo im Korb ein großer Lederbeutel mit Wasser. Nehmt euch nur.»
Als Niklas wieder erwachte, teilte Eva mit ihm ihr letztes Stück Brot. Draußen dämmerte es bereits. Die Mädchen packten einen Kanten Käse aus, dessen Duft ihr verführerisch in die Nase stieg, aber sie verkniff es sich, um einen Bissen zu betteln. Eine knappe Stunde später hielten sie erneut.
«Wir übernachten hier», rief Eusebia. Mit steifen Gliedern kletterten sie nach draußen. Sie befanden sich vor einer großen Scheune, hinter der sich ein zweistöckiges Bauernhaus gegen den nächtlichen Himmel erhob. Er war sternenklar.
«Wenn Engel unterwegs sind, macht sich der Regen davon», lachte Eusebia und deutete nach oben. Dann verschwand sie in Richtung des Hauses.
«Ihr könnt entweder in der Scheuer schlafen oder im Wagen. Wir bleiben bei unseren Freunden im Haus», sagte Vinzenz Fettmilch. «Morgen früh bringen wir euch einen Topf Milchbrei raus, dann geht’s weiter.»
Er machte sich daran, die Maultiere auszuspannen, und Eva und Niklas beeilten sich, ihm zu helfen. Nachdem sie die Tiere
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