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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Stimme.
    «Wir warten, bis jemand vorbeikommt, und dann nichts wie weiter.»
    Wenig später zogen vier Händler des Weges, ordentlich gekleidet und mit schwerbepackten Maultieren. Ihnen schlossen sie sich nach einem kurzen Gruß an. Die Männer kümmerten sich nicht weiter um sie, und Eva war das gerade recht.
    «Wirst sehen, in zwei, drei Tagen haben wir es geschafft. Dann sind wir bei unserer Muhme. Und bei Josefina», setzte sie hinzu und wusste selbst nicht, ob sie daran noch glaubte.
     
    Sie waren nicht allzu weit gekommen, hatten zwischen sich und den Händlern einen kleinen Abstand gelassen, um ungestört schwatzen zu können, als hinter einem Felsen ein Mann hervorgesprungen kam. Er fuchtelte aufgeregt mit den Armen.
    «Helft mir, um Gottes willen! Mein alter Vater ist schwer gestürzt.»
    Vielleicht hatten die Schauergeschichten jenes Prahlhanses Evas Sinne für die Gefahren der Landstraße wieder geschärft und damit ihr Gutes gehabt – jedenfalls erkannte sie sofort, dass da etwas nicht stimmte. Ohne nachzudenken, nahm sie ihren Bruder bei der Hand und zog ihn hinter das dichte Buschwerk, das am Wegrand, zwischen Fahrstraße und Felswänden, wucherte. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment ertönten laute Rufe und wütende Befehle, es klang nach einer ganzen Horde von Männern. Eva verstand so etwas wie: «Los, her damit!» – «Aber schnell!» – «Bitte nicht!» – «Erbarmen!» Dann wurden gellende Schreie von den nackten Felswänden zurückgeworfen und hallten durch das Tal, wieder und wieder, Schmerzensschreie, immer qualvoller, immer lauter, obwohl Eva sich die Hände gegen die Ohren presste.
    Sie hätte nicht sagen können, wie lange das so ging. Irgendwann sah sie durch das Laubwerk die Umrisse von einem halben Dutzend Reitern vorbeisprengen, hinter ihnen die bepackten Maultiere der Händler. Die hatten die Köpfe hochgeworfen, das Weiß blitzte aus ihren Augen. Damit war der Spuk vorbei. Eva ließ die Hände sinken. Alles war still, nicht einmal die Vögel zwitscherten mehr in den Zweigen. Neben ihr kauerte Niklas und hatte seinen Kopf in den Armen vergraben.
    Eva wurde klar, dass sie an dem Schauplatz des Verbrechens vorbeimussten, ohne zu wissen, was sie erwartete.
    Vorsichtig löste sie Niklas aus seiner Erstarrung.
    «Wir müssen weiter», sagte sie. «Es hilft alles nichts.»
    Was sie dann sahen, war noch entsetzlicher als erwartet. Vier Körper krümmten sich reglos am Boden, zwei dicht beieinander, einer am Wegrand, der vierte halb auf der Böschung hinunter zum Fluss. Der Sand rundum war dunkel gefärbt von Blut, mittendrin lag ein abgetrennter Arm, ein Stückchen weiter eine Hand, zwei der Leichen fehlten die Schuhe, der dritten am Wegrand gar die Füße. Dazu lag ein schwerer, süßlicher Geruch in der Luft.
    «Schau nicht hin», flüsterte sie und hielt ihrem Bruder die Hand vors Gesicht. «Lauf nur immer vorwärts, ich führ dich.»
    Im selben Augenblick flatterten zwei Rabenvögel dicht vor ihnen auf, und sie stieß einen Schrei aus. Dem Mann zu ihren Füßen waren die Augen ausgestochen worden! Seine Augenhöhlen, sein ganzes Gesicht waren nur mehr ein schwarzroter Brei. Da fiel ihr Blick auf seinen Rockschoß: Ein winziger Lederzipfel ragte aus den Stofffalten heraus.
    «Weiter! Komm!» Sie schob Niklas vorwärts, bis der Weg um einen Felsen bog und das grausige Schlachtfeld außer Sichtweite war.
    «Wart hier. Ich bin gleich zurück.»
    Niklas nickte nur. Noch immer hielt er die Augen fest zusammengepresst, sein Gesicht war kreideweiß.
    Es kostete sie größte Überwindung, zu dem verstümmelten Leichnam zurückzukehren, aber was sie vermutet hatte, bestätigte sich: Die Meuchelmörder hatten in der Eile eine Geldkatze übersehen. In ihren Ohren begann es zu rauschen, als sie mit einem raschen Schnitt ihres Messers den prallen Beutel auftrennte und sich eine wahre Flut von Geldstücken in ihre Schürzeergoss. Mit zitternden Fingern füllte sie die Münzen in ihre eigene Geldkatze, einige Heller fielen auf die blutgetränkte Erde, doch um nichts auf der Welt hätte sie sie angerührt. Schwankend erhob sie sich, kam gerade noch bis zu dem Felsen an der Biegung, als ihre Beine nachgaben und sie sich in heftigen Krämpfen erbrechen musste. Was hab ich nur getan?, dachte sie immer wieder, bin ich des Teufels? – bis sie sich endlich einen Ruck gab und tief Luft holte. Sie mussten schleunigst verschwinden, vielleicht kehrten die Wegelagerer ja zurück.
    Niklas stand so

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