Die Vagabundin
dort wartet. Nicht dass mein Herr zornig wird, wenn wir zu spät kommen.»
«Recht so.»
Als Niklas verschwunden war, unterdrückte sie einen Seufzer der Erleichterung. Alles war bisher glattgegangen und Niklas schon mal in Sicherheit. Sie wunderte sich nur, wie leicht ihr dieses Possenspiel gefallen war und wie einfach sich diese Menschen doch täuschen ließen. Jetzt musste sie sich nur noch selbst unbemerkt davonstehlen.
Auch das gelang leichter als gedacht. Inzwischen war die Schankstube überfüllt mit hungrigen Gästen, die keinen Sitzplatz mehr fanden. Die ersten begannen zu fluchen und zu schelten, dass man sie nicht an der einzigen leeren Tafel sitzen ließ, andere fielen mit ein, und bald brach ein Tumult aus. Der Wirt hatte alle Mühe, den drohenden Raufhändel zu unterbinden, und stand jetzt umringt von einigen Fuhrleuten, die ihre Fäuste schwangen.
Eva drängte sich mitten hinein.
«Sie sind da, Herr! Ich hab eben die Hörner unserer Schiffe gehört.»
«Dem Himmel sei Dank.» Er wischte sich die Schweißperlen von der Glatze.
«Habt Ihr im Hof einen Abtritt? Ich müsste mal kurz hinaus.»
«Ja, ja, neben dem Stall.»
Eva huschte durch die Tür, hörte noch einen der Männer schnauzen: «Ist mir völlig wurscht, wer da kommt! Ich hock mich jetzt an den freien Tisch», dann ein Gepolter, als würde eine Bank umfallen. Nur weg von hier!
Sie musste an sich halten, nicht zu rennen, schließlich durfte sie um keinen Preis auffallen. Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie die Brücke überquerte, doch niemand pfiff sie zurück, kein Büttel, kein Scharwächter verfolgte sie.
Die Kapelle, in der Niklas auf ihrem Kleiderbündel kauerte und verängstigt auf sie wartete, lag bereits im Schatten des Waldrands. Bald würde es dunkel werden, dann würde niemand mehr nach ihnen suchen.
17
«Das war nicht recht. Der arme Wirt hat alles umsonst gekocht.»
Im Morgengrauen hatten sie ihre Zuflucht in der Kapelle verlassen. Jetzt schlugen sie sich durch dichtes Unterholz, die Zweige zerkratzten ihnen die Beine.
«Dummerchen!» Eva musste fast lachen. «Da waren am Schluss so viele Gäste, die werden schon alles aufgegessen haben.»
Dabei hatte sie am Vorabend selbst das schlechte Gewissen geplagt. Nachdem Niklas eingeschlafen war, eingerollt in ihre alten Kleidungsstücke, hatte sie noch lange vor der Stelle gekniet, wo sie Marias Bildnis wusste, und in völliger Dunkelheit inbrünstig gebetet.
«Trotzdem.» Niklas schob die Unterlippe vor. «Außerdem hast du dem Wirt gesagt, ich wär blöde. Das war gemein.»
«Seltsam. Ich hab gesagt: seltsam.» Sie blieb stehen und küsste ihn. «Dafür gab es das beste und fetteste Essen seit langem. Das war’s doch wert, oder nicht?»
Sie blinzelte gegen die Sonnenstrahlen, die das Laubdach der Bäume durchdrangen.
«Ich denk, wir können jetzt auf die Straße zurück. Ich glaub nicht, dass der Wirt uns groß suchen lässt. Sonst müsst er ja zugeben, dass ihn ein junges Mädchen übers Ohr gehauen hat.»
Die Landstraße verlief dicht am Fluss, der sich durch ein weites und blühendes Tal wand. An seinem breiten Lauf reihte sich Mühle an Mühle, eine wohlhabender als die nächste, oben auf den Höhen ragten Burgen und Ruinen in den Sommerhimmel. Dazu luden saubere, freundliche Gasthäuser zur Rast ein. Nur das Marschieren war hier, wie immer auf solchen Straßen in feuchtem Talgrund, mühsam: Der Knüppelweg, der äußerst nachlässig mit Sand und Erde aufgefüllt war, ließ einen stolpern, hielt man die Augen nicht auf den Weg. Eva wunderte sich, wie wenige Menschen heute unterwegs waren. Als sie erfuhren, dass Sonntag war, verspürte sie ganz plötzlich den Wunsch, einmal wieder, nach langer Zeit, einen Gottesdienst zu besuchen.
Niklas schien davon nicht eben begeistert. «Wir haben noch gar nichts gegessen.»
«Ach, Igelchen, du denkst nur noch ans Essen! Also gut. Aber im nächsten Dorf gehn wir dann in eine Kirche.»
Sie setzten sich an den Brunnenrand vor einer der Herbergen, füllten ihren Wasserschlauch auf und aßen das restliche Brot. Steile Felswände schoben sich hier seitwärts gegen das Tal, die Straße war auf einmal menschenleer.
«Wie weit ist’s noch nach Regensburg hin?», fragte Eva einMädchen, das gerade Wasser aus dem Brunnen schöpfte und sie dabei immer wieder misstrauisch beäugte.
«Drei Wegstunden», entgegnete es unwillig. «Übrigens kann mein Vater es nicht leiden, wenn Leute vor seinem Haus die Brotzeit nehmen. Verschwindet
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