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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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tief Luft und rieb sich die Schläfen. Sie waren schweißnass. Und das, obwohl sie sich auf dem Weg hierher an einem Brunnen Gesicht und Hände gewaschen hatte. Unruhig zupfte sie Niklas an Hemd und Gürtel herum, strich ihm zum wiederholten Male die Haare glatt.
    Da hörte sie hinter der Tür Stimmen und Kinderlachen und vernahm auch die Alte von eben, barsch und unerbittlich. Als sich gleich darauf die Tür weit öffnete, blieb Eva fast das Herz stehen: Einen Lidschlag lang glaubte sie, ihre Mutter stünde vor ihr! Doch allzu rasch war dieses Gefühl der Vertrautheit verflogen, denn das vornehme Äußere der Hauherrin schüchterte Eva vollends ein. Die zierliche Frau trug ein kostbares grünes Samtkleid mit hohem Stehkragen und engem Mieder, an den Schultern waren kleine Puffen in die angenestelten Ärmel gesetzt, was ihre Schultern viel zu breit erschienen ließ. Das glatte, dunkle Haar war streng zurückgekämmt und mit einem durchsichtigen Perlennetz bedeckt.
    «Ihr seid es also wirklich!»
    Die Worte ihrer Muhme kamen mehr gehaucht als gesprochen, dabei flatterten ihre hellbraunen Augen wie ein ängstlicher Vogel zwischen Eva und Niklas hin und her.
    Eva vermochte nur zu nicken. Nach ihren Überlegungen konnte Ursula Wolffin noch keine dreißig Jahre zählen, doch diese Frau wirkte um einiges älter. Vielleicht, weil sie so müde aussah.
    «Nun – dann kommt erst mal herein. Nun kommt schon.»
    Niklas presste sich an seine Schwester, während sie die Eingangshalle betraten. Es roch nach gewachsten Dielen und dem zurückliegenden Mittagessen. Erbsensuppe mit Wurst und Speck, stellte Eva im Stillen fest, und sofort meldete sich der Hunger wieder. Hinter der Tür, aus der der Essensgeruch drang, hörte sie es leise tuscheln und kichern.
    Stumm folgten sie ihrer Muhme die Treppe hinauf. Eva ließ ihre Hand auf dem zierlich gedrechselten Treppengeländer entlanggleiten, als suche sie Halt. Durch einen breiten Flur, von dem etliche schwere Holztüren abgingen, gelangten sie in die Wohnstube. Der Raum wirkte trotz der dunklen Kassettendecke freundlich, denn er ging auf ebenjenen mit Buntglasfenstern besetzten Erker hinaus, den sie schon von außen bewundert hatte. Ein langgestreckter Tisch stand mitten im Zimmer, er war aus demselben walnussbraunen Holz wie Stühle und Anrichte. Von draußen drangen gedämpft die Geräusche der Straße herauf.
    «Setzt euch.»
    Ursula Wolffin wies auf die Steinbank im Erker, auf der weinrote Sitzkissen lagen. Sie selbst nahm in einem gepolsterten Lehnstuhl Platz, wobei ihrer Brust ein unterdrückter Seufzer entfuhr. Ihr Blick blieb an Eva hängen.
    «Ich hab dich gleich erkannt, Eva. Du warst sieben oder achtJahre alt, als ich von Glatz wegging. Schon damals hattest du diese blauen Augen, das dichte Haar, die wunderschönen dunklen Locken. Genau wie meine Schwester   – Gott hab sie selig. Und du, du musst Niklas sein», wandte sie sich an den Jungen. «Damals warst du gerade zur Welt gekommen, ein kräftiger kleiner Bub mit weißem Flaum auf dem Kopf.»
    Sie sprang unvermittelt auf.
    «Was bin ich doch für eine schlechte Gastgeberin! Ihr seid gewiss hungrig und durstig. Ihr Armen, ihr seht ja völlig ausgehungert aus.»
    Mit einem Mal wirkte Ursula Wolffin angespannt. Sie hastete zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und rief hinaus: «Agatha, bring unsern Gästen Wein und Kuchen.» Dann schritt sie im Zimmer hin und her, bis die alte Dienstmagd mit einem Tablett erschien.
    «Stell alles auf das Tischchen am Fenster.»
    Das tat Agatha, nicht ohne ihrer Herrin einen missbilligenden Blick zuzuwerfen, und verließ dann wortlos den Raum.
    «Jetzt greift zu und erzählt, was euch nach Straubing führt!»
    Gierig stopfte sich Niklas große Stücke von dem buttrig glänzenden Mandelkuchen in den Mund, bis Eva ihn in die Seite stieß.
    «Iss anständig», zischte sie. Ursula Wolffin war zwar ihre Muhme, die Schwester ihrer eigenen Mutter, aber Eva hatte längst erkannt, dass diese Frau an Wohlstand und gewisse Umgangsformen gewöhnt war. Und Niklas – das fiel ihr erst in dieser vornehmen Umgebung auf – war die letzten Monate doch reichlich verwahrlost, was sein Benehmen betraf.
    «So lass ihn doch.» Ihre Muhme lachte etwas gekünstelt. Da nahm auch Eva sich Wein und Kuchen, aß und trank lustlos, trotz des Hungers. Keine Spur von Josefina, nichts, was darauf deutete, dass ihre Schwester hier war – und so quälte sie eineeinzige Frage: War Josefina jemals hier aufgetaucht? Doch

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