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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Mörder   …»
    Niklas schluchzte plötzlich laut auf und rannte hinaus. Unter den missbilligenden Blicken der Umstehenden folgte Eva ihm, so rasch sie konnte. Auch sie hatte längst genug von den niederschmetternden Worten des Predigers. Draußen auf dem Kirchhof holte sie ihren Bruder ein.
    «Er hat dir Angst gemacht, der Pfarrer, nicht wahr?» Sie wischte ihm zärtlich die Tränen aus dem Gesicht. «Jetzt hörauf zu weinen. Nur weil Sonntag ist, müssen wir nicht in den Gottesdienst. Wandern wir lieber weiter.»
    «Ich will nicht mehr!» Niklas stampfte mit dem Fuß auf. «Ich will nicht mehr betteln und hungern müssen und nachts frieren. Ich will nicht mehr von früh bis spät marschieren und immer Angst haben. Ich   …»
    «Das musst du auch nicht», unterbrach sie ihn. «Von hier kann es nicht mehr weit bis zur Donau sein. Dort quartieren wir uns auf einem der Lastkähne ein und fahren bis vor die Tore von Straubing.»
    «Uns nimmt eh keiner mit! Wir sind doch nur Bettler, Haderlumpen, dreckige Vaganten!»
    «O nein!» Sie schwang ihre gefüllte Geldkatze hin und her. «Damit können wir auf jedem Schiff aufsitzen. Die Schiffsmeister werden sich um uns reißen. Und wir suchen uns das schnellste und bequemste aller Boote aus.»

18
    Eva vermochte es nicht zu fassen. Was für ein herrschaftliches Haus! Dabei war es nicht einmal das größte der Bürgerhäuser hier am Stadtplatz, dennoch: Bis zur Traufe reichte es drei Stockwerke über den Erdboden, die Fenster waren sämtlich mit Butzenscheiben verglast, im zweiten und dritten Stock wölbte sich ein mit vielfarbigen Ornamenten bemalter Erker über die Eingangstür, zu der breite, blankpolierte Stufen führten. Neben der Tür, in deren dunkles Holz von Künstlerhand das Relief eines Einhorns geschnitzt war, führte ein breites Tor in den Hof. Eben jetzt kam ein Einspänner herausgefahren, dahinter schlossen sich die beiden Torflügel gleich wieder wie von Geisterhand.
    Kaum wagte sie es, den bronzenen Türklopfer auch nur zu berühren. Ihrem Bruder schien es ebenso zu gehen.
    «Was, wenn die uns gar nicht einlassen?»
    «Das werden sie schon.»
    Niklas tastete nach ihrer Hand. «Wenn aber nicht», sagte er leise, «gehn wir zurück zu Alois. Weißt du, was ich denk? Der wär der richtige Mann für dich.»
    «Was redst du da? Der ist doch viel zu jung für mich!»
    Sie versuchte zu lächeln. Was ihr kleiner Bruder sich manchmal so zusammenspinnte! Im Leben nicht würde sie den liebenswerten Schankburschen wiedersehen. Genauso wenig wie Junker Moritz von Ährenfels.
    «Was steht ihr hier rum und glotzt?»
    Die Stimme kam vom Hoftor her, das sich einen Spalt weit geöffnet hatte. Im Schatten der Einfahrt war nicht zu erkennen, wer da sprach, doch es musste eine ältere Frau sein.
    «Ist das hier das Haus des Kaufmanns Endress Wolff und seiner Frau Ursula?»
    «Wer will das wissen?», schnauzte die Frau unfreundlich zurück und schob jetzt ihren Kopf ganz heraus. Ihr breites Gesicht war von Falten durchzogen, das Haar vollständig von einer Leinenhaube mit Kinnband verdeckt. Gewiss war das die Hausmagd.
    Eva musste an sich halten, höflich zu bleiben. «Ich bin Eva Barbiererin aus Glatz, und das ist mein Bruder Niklas. Wir sind die Schwesterkinder der Hausherrin.»
    «Dass mich der Hagel erschlag!» Eine Zeitlang blieb es still, bis die Frau beffzte: «Wartet hier und rührt euch nicht.»
    Die nächsten Minuten kamen Eva wie Stunden vor. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so sehr hatten sie die letzten Tage und Wochen erschöpft. Zwar waren sie, wie sie es geplant hatte, auf einem Frachtkahn bis hierher nachStraubing gekommen, aber unterwegs hatten sie nichts als Brot und mit Wasser angematschten Brei zu essen bekommen. Und das, obwohl sie dem Schiffsmeister ihr gesamtes Vermögen hatte abdrücken müssen! Hinzu kam, dass sie den Trubel einer großen Stadt nicht mehr gewohnt war. Wahre Menschenmassen drängten sich an diesem schönen Sommernachmittag hier in den Gassen, aus den offenen Toren und Türen drang das Hämmern und Klopfen der Werkstätten, vermischte sich mit dem Stimmengewirr der Leute, dem Knarren und Ächzen der Wagenräder, dem Geschrei tobender Kinder. Und über allem lastete ein furchtbarer Gestank nach Pferde- und Schweinemist und aus den Gruben der Abtritte. Wo war bloß der Duft nach frischen Wiesenblumen geblieben, nach dem Harz der dunklen Wälder, wo das Gezwitscher der Vögel, das Rascheln der Blätter im Wind?
    Eva holte

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