Die Vagabundin
zu benehmen. Aber inzwischen war ihr alles gleichgültig, in ihrem Kopf drehte es sich nur noch.
«Habt ihr euch ein bisserl erholt?», fragte die Muhme und legte ihre Hand auf die von Eva. Ihre Besorgnis war nicht gespielt, das spürte Eva.
«Es geht schon wieder, danke», erwiderte sie matt und blickte hinüber zu ihrem Bruder. Dem schien die Enttäuschung darüber, dass Josefina nicht hier war, nicht besonders zugesetzt zu haben, im Gegenteil. Gierig löffelte er seine Suppe, zwischendurch grinste er in einer Mischung aus Neugier und Verlegenheit immer wieder seine älteste Base an.
Als Agatha die Platte mit kaltem Braten auftrug, hatte Eva ihren Teller noch immer halb voll.
«Nun iss schon, Kind», forderte Ursula Wolffin sie auf.
«Dir schmeckt’s wohl nicht bei uns?» Der Hausvater lachte, doch sein Blick verriet Ärger. «Na ja, wirst dich schon an die fette Kost hier im Straubinger Gäu gewöhnen. So wie Niklas – der haut rein, wie es sich für ein Mannsbild gehört. Was, mein Junge?» Er wischte sich mit dem Tüchlein den Bratensaft aus dem Mundwinkel. «Nun – wo wir hier so beinand sind, will ichbesprechen, wie es weitergehen soll mit euch beiden. Möchtest du was dazu sagen, Eva?»
Die Maserung der Tischplatte begann vor Evas Augen zu schlingern. «Morgen früh werden wir aufbrechen. Wir möchten euch nicht zur Last fallen.»
«Und wohin, bitt schön? Ihr wollt doch wohl nicht zurück nach Passau zu eurem Vater.»
«Nein.» Eva schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung, wohin sie gehen konnten. Dazu kamen diese abgrundtiefe Müdigkeit und eine plötzliche Kälte, die ihr eisig in die Glieder fuhr.
«Hör zu, Eva, ich mach dir einen Vorschlag. Ihr bleibt ein paar Tage bei uns, meinetwegen auch ein, zwei Wochen, bis ihr wieder bei Kräften seid. Danach schauen wir weiter, wo wir euch unterbringen können. Ich kenne einen Getreidehändler, nicht weit von hier, in Bogen. Er ist ein ehrenwerter Mann mit Weib und fünf Kindern und sucht händeringend ein Dienstmädchen für die Haushaltung. Niklas könnte vorerst bei mir aushelfen, er scheint mir ein aufgeweckter Bursche.»
Endress Wolff lächelte erwartungsvoll in die Runde.
Eva lächelte zurück. Dann kippte sie lautlos vom Stuhl und verlor das Bewusstsein.
Vier Wochen lang lag Eva im Haus des Kaufmanns Endress Wolff mit kaltem Fieber danieder. Im Wechsel peinigten sie eisiger Frost, dass ihr die Zähne klapperten und Hände und Füße gefühllos wurden, und Hitzeanfälle, die sie binnen Sekunden in Schweiß ausbrechen ließen. Dazwischen gab es Stunden und Tage, wo sie in dumpfer Teilnahmslosigkeit dahindämmerte, während ihr irgendjemand einen Trank aus Heilkräutern einflößte – alles andere würgte sie sofort wieder heraus –, und das Wechselweh ihren Körper aufs Neue packte.
Endlich ließen Frost und Fieber wie durch ein Wunder nach, und Eva war nur noch Haut und Knochen. Als sie zum ersten Mal bereit war, etwas zu sich zu nehmen, und in winzigen Bissen salzigen Gerstenschleim herunterzwang, ließ der Stadtmedicus den Bader holen: Der setzte Schröpfköpfe an Beine und Schultern, um die Körpersäfte wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
An diesem Tag hielt Eva für längere Zeit die Augen offen. Nachdem der Bader seine Gläschen wieder von ihrer Haut gepflückt hatte und die Matula des Arztes für die Urinschau gefüllt war, versammelte sich die gesamte Familie in der kleinen Gästekammer.
Die Muhme setzte sich auf den Bettrand und nahm Evas Hand. Sie war sichtlich erleichtert.
«Der Medicus ist sehr zufrieden mit der Untersuchung. Und wir hatten schon solche Angst, dass du von der Landstraße eine pestilenzische Seuche angeschleppt hättest. Aber es war nur der hitzige Frörer. Der kommt schon mal vor nach den heißen Sommern hier bei uns in den Donaumarschen.»
«Es tut mir so leid», sagte Eva mit rauer Stimme. Das Sprechen fiel ihr noch schwer. «Bin euch nur eine Last, als Kranke, und all die Kosten – Medicus und Bader –»
«Dafür hast du ja all die Zeit nix gegessen», platzte Niklas heraus und strahlte über das ganze Gesicht. Eva hätte ihn gern zurechtgewiesen für diese vorlaute Bemerkung, doch erstens fehlte ihr die Kraft, und zweitens begann der Hausherr, zu Evas größter Überraschung, lauthals zu lachen:
«Wo er recht hat, hat er recht, unser Schlaufuchs. Hast schon richtig kaufmännisch denken gelernt in diesen vier Wochen, was, Niklas?»
«Vier Wochen?» Eva
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