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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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versprochen, aber Evabezweifelte, dass ihr Mann sie überhaupt nach ihrer Meinung fragen würde.
    Als sich dann der erste Novembernebel über die Donauniederung legte und Bäume und Häuser hinter kalten, weißlichen Schwaden verschwinden ließ, musste Eva mit sich kämpfen, nicht in Schwermut zu versinken. Längst war sie wieder vollkommen gesund. Sie und Niklas waren so wohlgenährt wie nie, und sie trugen feine Kleidung und Lederschuhe. Nie zuvor hatten sie einen solchen Wohlstand genossen. Auf den Gassen grüßte man sie mit respektvoller Freundlichkeit, gerade so, als seien sie die leiblichen Kinder dieses angesehenen Kaufmanns. Umso mehr grauste ihr davor, schon bald für einen wildfremden Mann die Dienstmagd spielen zu müssen. Hätten sie dieses Straubing nur gleich nach der ersten Nacht wieder verlassen, dachte sie immer häufiger. Jetzt aber war es zu spät – jetzt konnte sie Niklas nicht mehr aus seiner neuen Familie herausreißen.
    Wenige Tage vor Martini versammelte sich die Familie zum Abendessen in der wohlig beheizten Stube. Niklas hatte an diesem Tag zum ersten Mal seinen Oheim zu einem Kunden begleiten dürfen, einem Weinhändler, der schwere rote Weine aus dem Ungarischen über die Donau hierher nach Straubing transportierte. Diesen Wein ließ Endress Wolff dann neben anderen Waren wie Tuche und Öle über den Baierweg ins Böhmische schaffen, bis hin nach Prag.
    «Dieser habsburgische Beutelschneider wird jedes Jahr unverschämter», polterte der Kaufmann los, nachdem er seinen ersten Becher Bier geleert hatte. «Jetzt verlangt er zwanzig Goldgulden auf den Eimer Tokajer. Zwanzig Goldgulden! Das ist der Wert von zwei Milchkühen. Und warum? Weil angeblich die Hafen-, Schiffs- und Grenzzölle erneut angestiegen seien, das zweite Mal in diesem Jahr. Da hab ich auf dem Heimweg meinenkleinen Kompagnon hier gefragt, ob ich das nun glauben soll. Und wisst ihr, was er geantwortet hat?»
    Lachend gab er Niklas einen Klaps gegen den Hinterkopf. Der wurde rot bis unter die Haarwurzeln.
    «Warum ich denn meine Waren nicht selbst auf dem Schiffsweg verfrachten würde – damit hätte ich die Kosten im Blick. Dieses Teufelskerlchen! Grad mal elf Jahre alt und redet daher wie ein alter Hase. Genau das, liebe Ursula, habe ich mir nämlich für das nächste Jahr vorgenommen: Endress Wolff wird sich vergrößern und verändern.»
    Der Blick ihrer Muhme wirkte eher ängstlich denn erfreut. «Wie meinst du das, lieber Mann?»
    «Nun – die Art Handel, die mein Vater und mein Großvater betrieben haben, ist nicht mehr zeitgemäß. Der Saumhandel bringt nicht genug ein. Die Säumer werden in ihren Forderungen immer unverschämter, und der Baierweg mit dem vielen Räubergesindel im Nordwald wird immer unsicherer. Zudem lassen sich per Schiff weitaus größere Mengen transportieren. Ich werde also im nächsten Jahr einen Schiffszug anschaffen!»
    Sein Blick ruhte auf Niklas, voller Wohlwollen.
    «Und du wirst ab Jahreswechsel die Deutsche Schule besuchen. Mit dem Schulmeister ist schon alles besprochen. Schließlich sollst du mich und Pfefferlein einmal würdig ersetzen können, wenn wir auf Reisen sind, und dafür hast du noch eine Menge zu lernen.»
    «Ist das wirklich wahr? Ich darf auf die Deutsche Schule?»
    «Aber ja! Und samstags und nach den Schulstunden nehmen Pfefferlein und ich dich unter die Fittiche. Wirst sehen, wir machen aus dir einen gestandenen Kaufmann.»
    Eva konnte ihrem Bruder ansehen, dass er seinem Oheim am liebsten um den Hals gefallen wäre. Allerdings waren solcherlei Gefühlsbekundungen Endress Wolff höchst zuwider, das hatteauch Niklas gelernt, und so beschied er sich damit, ein mehrfaches «Danke!» zu stammeln.
    «Darf Niklas dann für immer bei uns bleiben?», fragte Aurelia mit glänzenden Augen. Für dieses Mal sah Wolff darüber hinweg, dass eines seiner Mädchen ungefragt das Wort ergriffen hatte, und entgegnete beinahe feierlich: «Ja, das darf er.»
    Von ganzem Herzen gönnte Eva ihrem Bruder diese Anerkennung, diese glückliche Fügung seines Schicksals. Zumal der Hausvater ein Mann war, der zu seinem Wort stand – ob es sich nun um ein Versprechen oder ein Verbot handelte. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ein leiser Gram in ihr nagte. Den eigenen Töchtern brachte er nicht halb so viel Zuneigung entgegen wie seinem Neffen – dass die drei Mädchen nicht vor Eifersucht platzten, war geradezu ein Wunder. Und was aus ihr, Eva, wurde, schien ihn schon überhaupt nicht

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