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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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kann das gehen?», fragte sie ihre Muhme.
    «Sie haben Gleithilfen», antwortete an deren Stelle Endress Wolff. «Schweinsfußknochen, die mit Lederriemen unter die Schuhe geschnallt sind.»
    «Das würd ich auch gern mal versuchen.»
    Wolff lachte. «Das ist nichts für euch Frauen. Da würdet ihr euch nur alle Knochen brechen. Geht ihr lieber schön vorsichtig zu Fuß aufs Eis und haltet euch fest. Ich werd derweil schon mal den heißen Gewürzwein kosten. Bis später dann!»
    Eva sah ihm nach, wie er in Richtung der Brettertische davonschritt, wo allerlei Leckereien feilgeboten wurden und süßer Wein in Kesseln überm Feuer dampfte. Jetzt grüßte er nach links und rechts, grad so, als sei er ein Landgraf, der die Reihen seiner Untertanen abschreitet. Wie gern hätte sie ihm erwidert, dass sie in ihrem Leben schon ganz andere Sachen geschafft hatte, als auf dämlichen Knochenstücken übers Eis zu rutschen.
    Ihr Blick fiel auf das Herzogsschloss, das sich zu ihrer Rechtentrutzig aus dem Mauerring der Stadtbefestigung bis dicht ans Ufer schob. Obwohl sich die bairische Herzogsfamilie höchst selten hier aufhielt und die goldene Zeit des Unterlands längst vorbei war, präsentierte sich Straubing als schmucke kleine Residenzstadt: Plätze und Straßen waren gepflastert, die Fassaden der Häuser stets sauber und Mauerwerk wie Tore und Türme in bestem Zustand. Die Donaubrücke, drüben vor dem Schloss, hatte eine eher traurige Bekanntheit erlangt: Hier hatte vor über hundert Jahren die Baderstochter Agnes Bernauer ihren grausamen Tod gefunden. Um der unstandesgemäßen Liebe zwischen ihr und dem Herzogssohn Albrecht ein für alle Mal ein Ende zu setzen, hatte man sie in einen Sack gebunden und in die Fluten geworfen. Angeblich war es ihr gelungen, die Beinfesseln zu lösen und ans Ufer zu schwimmen. Dort habe der Henker auf sie gewartet und mit einer Stange ihren Kopf so lange unter Wasser gedrückt, bis sie ertrunken sei. Als späte Sühne dann hatte ihr der alte Wittelsbacher Herzog eine Kapelle am Petersfriedhof gebaut, worin ihre Gebeine nun ruhten.
    Jeder hier in Straubing kannte diese Geschichte, und für Eva war sie einmal mehr ein Sinnbild dafür, dass letztlich immer nur die Frauen für ihre Taten büßten – sogar für ihre Liebe. Wie zum Exempel sah sie in diesem Augenblick die junge, bildhübsche Patriziertochter Catharina an die Seite ihres Oheims treten, Schulter an Schulter ließen sie sich einen Krug Gewürzwein einschenken, lachten sich an mit geröteten Wangen. Eva warf einen verstohlenen Blick auf Ursula Wolffin, die, umringt von ihren Kindern, an der Uferböschung stand. Konnte es sein, dass ihr das Geschwätz der Ratschkatln vom Markt noch gar nicht zu Ohren gekommen war? Diese ungeheuren Gerüchte von einer heimlichen Liebschaft zwischen dem Rats- und Handelsherrn und der Amman’schen Catharina? Oder wollte sie davon gar nichts hören? Längst hatte Eva nämlich erfahren, dassder ach so gestrenge Endress Wolff ein rechter Schürzenjäger war.
    «Was ist? Kommst du nun mit aufs Eis?» Niklas zog sie beim Arm. «Oder hast du Angst?»
    «Ich werd dir gleich! Von wegen!» Eva drehte sich lächelnd zu ihrer Muhme um und fragte: «Kommst du auch?»
    «Ich weiß nicht – wird uns das Eis denn tragen?»
    «Aber ja. Wenn einer einbricht, dann zuerst der fette Kerl dort hinten.»
    Vorsichtig kletterten sie die Böschung hinunter und wagten die ersten Schritte auf der eisglatten Fläche, aus der hier und da Büschel von Riedgras ihre frostigen Spitzen streckten. Es war ein seltsames Gefühl, auf diesem unbekannten Grund zu wandeln, auf diesen gefrorenen Wassern des mächtigen Stroms. Manche Stellen waren weiß wie Schnee, andere so glasklar, dass man die Steine und Pflanzen darunter erkennen konnte.
    «Ich bleib mit den Mädchen lieber hier beim Ufer», sagte Ursula Wolffin. «Du auch, Aurelia!»
    Eva knuffte ihren Bruder in die Seite. «Na, dann komm!»
    Sie rannte los. Mit den glatten Sohlen ihrer Schuhe ließ es sich herrlich rutschen, so herrlich, dass es sie alsbald auf den Hintern schlug. Lachend ließ sie sich von Niklas aufhelfen.
    «Weiter hinaus?», fragte der.
    Sie nickte. «Weiter!»
    Auf der Mitte des Flusses hielten sie inne. Wenn man lange genug lauschte, konnte man das Eis knistern und knacken hören. Bis hierher hatten sich nur ein paar wenige Knaben und Männer gewagt. Jetzt warfen sie Eva anerkennende Blicke zu.
    «Du bist ganz schön mutig», flüsterte Niklas ihr ins

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