Die Vagabundin
Mauerring und Wehrtürmen.
Der einzige Nachteil bei solch einem Leben auf der Stör war, dass sie sich abseits der großen Handels- und Fahrstraßen bewegen musste. Insofern hatte sie Niklas angelogen, als sie ihm versprach, niemals allein zu wandern. Aber war sie erst einmal als Mann verkleidet, so drohten ihr unterwegs weitaus weniger Gefahren. Außerdem besaß sie noch immer ihr Jagdmesser.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie niemand beobachtete, zog sie ihren kostbaren Schatz unter der Rockschürze hervor. Die Klinge blitzte und funkelte im Sonnenlicht wie fürstliches Geschmeide. Fast zärtlich fuhr ihr Finger über den kühlen Stahl, dann über den Knauf mit dem hübschen Wappen. So vieles, was in den letzten Jahren geschehen war, hatte sie vergessen, und längst brachte sie Namen und Orte durcheinander. Eines aber war wie in ihrem Inneren wie festgebrannt: der Name Moritz von Ährenfels. Ob der Junker sich wohl noch an sie erinnerte?
Sie gab sich einen Ruck. Statt sich in Träumereien zu verlieren, musste sie schleunigst einen der Ostermärkte hier in der Gegend erreichen, denn die Sonne stand schon hoch. Gleich am heutigen Tag, das hatte sie sich geschworen, wollte sie einen Schneiderknecht aus sich machen. Hierzu würde sie ihre Weibskleider gegen Mannskleider eintauschen. Allerdings konnte sie nicht mir nichts, dir nichts an einen Marktstand treten und sagen: Gebt mir doch bitte diese Mannskleider, Ihr bekommt dafür jene, die ich am Leibe trag. So ging das selbstredend nicht, und erst an ihrem letzten Abend in Straubing war sie daraufgekommen, wie sie vorgehen konnte, ohne Verdacht zu erregen.
Auf dem Weg in das Dorf, das sich unterhalb eines Burgschlosses gegen den Berghang schmiegte, schlich sich Eva zu einem der zahllosen Weiher hier in der Gegend und versteckte sich im Unterholz. Dort kauerte sie sich ins Gras, lange Zeit reglos und starr wie ein altes Stück Holz, endlich murmelte sie ein Ave-Maria und gab sich einen Ruck.
Aus ihrem Reisesack zerrte sie ein mehrfach geflicktes Leinenhemd sowie Niklas’ alte Hose – jene löchrige, fußlose Strumpfhose, die Alois ihm einst geschenkt hatte und die Eva wie angegossen passte. Im Schutz der Büsche und Bäume zog sie sich aus, presste ihre kleinen Brüste mit einem Leinenwickel platt und schnürte sich bis zur Taille hinab. Dabei hielt sie immer wieder voller Sorge Ausschau, ob nur ja niemand Zeuge ihrer Verwandlung wurde. Sie streifte sich hastig die zerlumpten Kleider über, bückte sich und rieb sich die Hände kräftig mit der dunklen Walderde ein. Zufrieden sah sie, wie sich unter ihren Fingernägeln dicke Trauerränder bildeten, und beschmierte sich grad noch obendrein das Gesicht. Dann trat sie ins seichte Wasser des Weihers, wobei ihre Rechte den Knauf des Jagdmessers umklammerte, und beugte ihr Gesicht über den stillen, moosgrünen Wasserspiegel. Kurz zögerte sie, während sie ihr Konterfei betrachtete. Nein, es gab kein Zurück mehr. Entschlossen griff sie in ihr dichtes Haar und schnitt Strähne für Strähne, Locke für Locke bis auf Höhe der Ohren ab. Wie dunkle Schiffchen schaukelten die Büschel im Wasser davon.
Eva unterdrückte einen Seufzer. Viele Monate würde es dauern, bis ihr Haar wieder so lang sein würde. Aber es half ja nichts – schulterlang trug nur ein Edler und Vornehmer sein Haar, nicht aber ein Handwerker und schon gar nicht der reichlich zerlumpte Hirtenknabe, in den sie sich soeben verwandelt hatte.
Barfuß, ohne Kittel, ihr Kleiderbündel über der Schulterund einen Stock in der Faust – so kehrte Eva auf den Weg zurück, der geradewegs ins Dorf führte. Jetzt würde sich zeigen, ob sie ihr Narrenspiel durchhalten konnte. Wenn nicht, wäre alles aus.
Gerade noch rechtzeitig erreichte sie den Markt. Der einzige Altkleidertrödler, der seine Warenbank im Schatten der Pfarrkirche aufgebaut hatte, war gerade im Begriff, alles zusammenzuräumen. Sein Gesicht war mürrisch. Offensichtlich hatte er bisher kein allzu gutes Geschäft gemacht.
«Wartet, Meister», rief Eva, um dann, mit wesentlich tieferer Stimme, zu wiederholen: «Wartet bitte!»
«Was willst du?»
Sie breitete ihr Bündel auf dem Schragentisch aus. Nur den wollenen Umhang nahm sie wieder an sich, den wollte sie für kühle Tage behalten.
«Seht Ihr dieses schöne Kleid mit der hübschen Halskrause? Die zierliche Schürze dazu? Und das Schultertuch erst – es ist aus echter Atlasseide.»
Der Tändler verschwendete nicht mal einen
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