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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hatte Eva die Küchenarbeit sehr wohl im Griff, eszahlte sich nämlich aus, was sie bei Odilia gelernt hatte. Doch kaum kam ihrer Muhme oder, wenn auch höchst selten, dem Hausherrn ein Lob über ihren goldgelb geschmälzten Haferbrei oder die Art ihrer Kräuterwürze über die Lippen, versuchte Agatha, sie schlechtzumachen. Einmal hatte die Alte ihr gar unterstellt, etwas vom Marktgeld unterschlagen zu haben. Da war Eva drauf und dran gewesen, alles hinzuwerfen. Zum Glück hatte sich dieser üble Verdacht schnell als nichtig herausgestellt, denn es war der Hausherr selbst gewesen, der Geld für einen Boten aus dem Kästchen genommen hatte. In aller Form hatte sich Agatha daraufhin bei ihr entschuldigen müssen, mit verkniffenem Gesicht, nur um ihr kurz darauf zuzuraunen: «Halt dich bloß nicht für was Bessres, nur weil du das Schwesterkind der Herrin bist!»
    Das mit Agatha war das eine. Das andere war, dass sie sich zunehmend wie in einen Käfig gesperrt fühlte. Außer mittwochs und samstags, den Markttagen, setzte sie keinen Schritt vor die Tür. Ihr Bereich beschränkte sich auf Küche und Vorratskammer unten im dunklen Erdgeschoss und auf die Wege treppauf, treppab in die Wohnstube. Immer häufiger verharrte sie dort am Fenster, starrte hinaus auf den Stadtplatz, auf dem zwischen den bunten Lauben und vollbepackten Schrannen das Leben pulsierte, reckte den Kopf nach links, hin zum Passauer Tor, hinter dem die Welt begann. Auch wenn sie dankbar war, dass sie in dieser kalten, dunklen Jahreszeit ein Dach über dem Kopf hatte und versorgt mit allem war, was der Mensch brauchte: mit Arbeit, gesunder Kost und warmer Kleidung, so sehnte sie sich doch immer mehr nach dem Anblick von saftigen Wiesen unter einem endlosen Himmelszelt, nach dem Gefühl von Wind und Sonne auf der Haut und den mannigfaltigen Lauten der Natur.
    Einen Tag nach Weihnachten, einem Sonntag, überraschteEndress Wolff seine Familie mit dem Vorschlag, alle zusammen einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Eva hatte die letzten Tage von früh bis spät in der Küche verbracht, um die sieben Gänge des Festessens vorzubereiten, war hierzu am Weihnachtstag sogar halb in der Nacht aufgestanden, um vor der heiligen Messe noch ein letztes Mal Hand anzulegen – jetzt freute sie sich umso mehr auf diese Abwechslung. Endlich einmal würde auch sie aus der Stadt herauskommen!
    Rasch packte sie mit Hilfe ihrer Muhme zwei Körbe voll Mundproviant, dann versammelten sich alle vor dem Haus, samt Buchhalter Pefferlein, Agatha und dem alten Gesellen. Dick eingemummelt in Mäntel, Pelzkappen und wollene Handschuhe, vor den Gesichtern weiße Atemwölkchen, stapften sie los. Es ging in Richtung Wachturm, der die langgestreckte Marktstraße in zwei Hälften teilte, von dort dann weiter zum Spitaltor. Es waren erstaunlich viele Menschen unterwegs an diesem sonnig kalten Wintertag, und alle schienen dasselbe Ziel zu haben: das Altwasser der Donau, auf das der harte Frost der letzten Wochen eine dicke Eisschicht gezaubert hatte.
    Eine halbe Stunde später erreichten sie die mit Erlen bestandenen Uferwiesen. Die Gräser und Blätter, mit Raureif überzogen, glitzerten in der Sonne, ein zartblauer Himmel spannte sich, ohne eine einzige Wolke oder Schliere, über die gleißende Fläche des Eises.
    «Ist das nicht herrlich?», sagte Ursula Wolffin und breitete die Arme aus.
    Aurelia strahlte ihren Vetter an. «Im Sommer kann man hier Boot fahren, auf kleinen Zillen. Das ist erst schön!»
    Sie traten näher ans Ufer, wo sich inzwischen ein Haufen Volk drängte, jeglichen Alters und jeglichen Standes. Alle wollten sie das schier Unfassbare erproben – einmal wenigstens den Fuß aufs Eis setzen oder gar den Altarm des mächtigenDonaustroms überqueren. Manche zogen einander auf kleinen Holzschlitten, andere schlitterten mit viel Schwung über die glattesten der Flächen und fanden sich dann nicht selten auf dem Hintern wieder.
    «Also, mich kriegt da keiner drauf», knurrte der Geselle, nahm Pfefferlein beim Arm und zog ihn mit sich auf eine der Holzbänke. Agatha folgte ihnen mit missmutigem Gesicht.
    «Schaut mal! Schaut mal!» Aufgeregt deuteten die beiden jüngsten Mädchen auf eine Gruppe junger Burschen, die schwerelos wie Daunenfedern über das Eis glitten und dabei elegante Kreise zogen. Andere stießen sich mit langen Stöcken ab, erreichten damit eine atemberaubende Geschwindigkeit und rasten wie Lanzenreiter aufeinander zu.
    Eva kniff die Augen zusammen.
    «Wie

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