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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Niklas wütend. «Und gegen Wegelagerer und Meuchelmörder wehrst du dich dann mit den Fäusten und mit deinem lächerlichen Jagdmesser? Ich bin kein kleines Kind mehr, Eva. Ich weiß genau, was Männer mit wehrlosen Frauen machen, was sie ihnen antun.»
    «Hör zu, Niklas. Ich wollt es dir eigentlich nicht sagen, weil du mich sonst für verrückt erklärst. Aber jetzt verrate ich es dir eben: Ich werd nicht als Frau unterwegs sein.»
    Niklas blieb der Mund offen stehen.
    «Jetzt schau nicht so entgeistert. Ich wär nicht die erste Frau, die sich als Mann verkleidet. Wahrscheinlich kannst du dich nicht erinnern, aber in Glatz hatte mal eine Kompanie Pikeniere ihr Lager vor der Stadt aufgeschlagen. Durch Zufall warrausgekommen, dass einer von den Fußknechten eine Frau war. Jahrelang war sie unerkannt Soldat gewesen!»
    Dass man die arme Frau nach der Entdeckung mit zwölf Rutenstreichen auf den nackten Rücken halb totgeschlagen hatte, verschwieg sie wohlweislich.
    «Du bist – du bist wirklich verrückt», stammelte Niklas.
    «Ich hab alles durchdacht. Beim nächsten Markt besorge ich mir Mannskleider, dann geh ich als Schneidergeselle und werd mir durch ehrliche Arbeit mein Geld verdienen. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Ich werd nicht klauen noch betteln, sondern abends in anständigen Wirtshäusern essen und in Herbergen übernachten. Siehst du? Der Regen lässt schon nach. Komm her, mein Kleiner, und gib mir einen Kuss. Ich muss los.»
    Als sie unter dem Vordach hervortraten, brach die Sonne durch das nasse Grau und ließ die Welt in warmen Farben leuchten. Diesmal waren es keine Regentropfen, die sich Niklas aus dem Gesicht wischte.
    «Ich werd dich so vermissen», schluchzte er.
    «Ich dich auch, mein Igelchen.» Sie kämpfte schwer mit sich, nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen, und nahm ihren Bruder in die Arme, ein letztes Mal.
    Als sie einander endlich losließen, spannte vor ihnen ein Regenbogen sein riesiges Halbrund über die Ebene des Straubinger Gäus, in so kräftigen und klaren Farben, wie es Eva nie zuvor gesehen hatte.
    «Wie wunderschön», sagte sie mit leiser Stimme. «Es ist grad, als ob er für uns zum Abschied gemacht wäre.»
    Niklas nickte. «Man möchte drauf hinaufklettern, bis hoch in den Himmel.»
    «Weißt du, was, Niklas? Immer wenn wir einen Regenbogen sehen, denken wir aneinander. Dann stellen wir uns vor, dasswir dort oben sitzen, dicht beisammen, und hinunterschauen auf die Welt.»
     
    Als sich Eva zum ersten Mal wieder umwandte, waren die Türme Straubings, die sonst weit hinein in die fruchtbare Ebene grüßten, im Dunst verschwunden. Eine gute Stunde war sie marschiert, im Stechschritt eines Landsknechts, der in die Schlacht zieht, hatte sich jeden Gedanken an den kleinen Bruder verboten und dennoch nicht verhindern können, dass ihr die Tränen unablässig übers Gesicht rannen. Erst als sie die Handelsstraße nach Regensburg erreichte, verlangsamte sich ihr Schritt. An einem steinernen Flurkreuz dicht bei der Straße machte sie halt und öffnete ihren Beutel mit der Wegzehrung. Dabei stieß sie auf ein schmales Lederbändchen mit einem kostbaren Marderzahn daran. Kühl und glatt lag das Amulett in ihrer Hand. Sie lächelte gerührt – Niklas musste es ihr unbemerkt in den Beutel gelegt haben. Ganz gewiss würde dieser Talisman ihr Kraft und Schutz geben.
    «Danke, Igelchen», flüsterte sie und knotete sich das Band um den Hals. Sie fühlte sich in zwei Hälften zerrissen: die eine verging fast vor Abschiedsschmerz und Einsamkeit, die andere frohlockte angesichts der Weite der Landschaft und der Freiheit, die sich vor ihr auftat. Zu Adam nach Straßburg zu wandern war gar keine dumme Idee. Noch immer – oder vielmehr erneut – war sie von dem Traum erfüllt, sich im welschen Franzosenreich als Schneidermeisterin niederzulassen, und da lag das berühmte Straßburg geradezu auf dem Weg. Zuvor aber musste sie als Wandergeselle Erfahrungen sammeln. Ihr Plan war, hierzu die schöne Jahreshälfte zu nutzen und kreuz und quer durch die Dörfer und Flecken zu ziehen, um dort und auf den Einödhöfen ihre Dienste anzubieten – ganz so, wie sie es einst an der Seite von Wenzel Edelman getan hatte. Zudemkonnte sie alte Kleidung aufkaufen, ausbessern und zu einem höheren Preis wieder verkaufen. Dass sie die Städte, wo das Handwerk fest in der Hand der Zünfte steckte, würde meiden müssen, tat ihr nicht weiter weh: Sie hatte vorerst genug von der Enge hinter

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