Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
dieser Landstraße etwa der einzige Mensch, der allein unterwegs war? Wo war die Hand, die sich sonst nach wenigen Schritten in ihre schob, wo das quengelnde «Ich hab Hunger!» ihres kleinen Bruders, sein helles Lachen, seine neugierigen Fragen? Welcher Teufel hatte sie eigentlich geritten, in diesem lächerlichen Aufzug durch die Lande zu vagieren, ohne Begleitung, ohne Schutz, ohne rechtes Ziel, nur mit einem kläglichen Rest an Pfennigen im Beutel, die ihr die Muhme unter heftigem Schluchzen beim Abschied noch zugesteckt hatte, nachdem Eva ihr gesagt hatte, dass sie fortmüsse, Josefina suchen?
    Mit einem Mal wusste Eva, dass sie ihre Schwester niemals ausfindig machen würde – das hieße, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Verstohlen wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie würde Josefina vergessen müssen. Und nicht nur Josefina – auch die anderen. Sie selbst hatte schließlich sämtliche Familienbande zerschnitten, damit musste sie sich jetzt abfinden. Musste sie das wirklich? Noch war sie nicht allzu weit gekommen, befand sich höchstens drei, vier Wegstunden von Straubing entfernt. Noch konnte sie zurück. Ihre Muhme würde sich freuen, und selbst der gestrenge Ratsherr wäre froh, kein neues Küchenmädchen einstellen zu müssen.
    «He, pass doch auf!»
    Hart prallte sie mit der Schulter gegen einen Esel. Das Tier machte einen Satz zur Seite und brachte damit seinen Reiter, einen Bauern in grauem Kittel und mit grauer Kappe, fast zu Fall.
    «Damischer Depp!», blaffte der jetzt und schlug mit seiner Weidenrute in ihre Richtung. «Bist du blind oder was?»
    «Selber», murmelte Eva. Dicht hinter dem Esel schlurfte eine Frau in zerrissenem Schuhwerk aus Rindenstreifen. Ganzkrumm ging sie unter dem Gewicht der mit Holz gefüllten Rückenkraxe.
    «Lieber Mann», keuchte sie in diesem Augenblick. «Ich muss verschnaufen.»
    «Spinnst du? Daheim warten die Bälger aufs Essen.»
    «Hast ja recht.»
    Eva war stehen geblieben und sah den beiden nach. Nicht so sehr die Rücksichtslosigkeit des Bauern ärgerte sie, der fett und faul auf seinem Esel thronte, als vielmehr die kleinmütige Art seiner Frau. Alles klaglos hinnehmen, die eigenen Wünsche zurückstecken – genau so sah gemeinhin das Los einer Ehefrau und Mutter aus. Diese beiden Bauersleute erschienen Eva wie ein Sinnbild dessen, was sie im letzten halben Jahr im Hause Wolff erlebt hatte. Rein gar nichts war in den Augen des Hausherrn das Tun der Frauen wert, niemals wäre ihm so etwas wie Lob oder Anerkennung über die Lippen gekommen. Schlimmer aber noch – und das hatte Eva kaum noch mit ansehen können – war, wie klein sich ihre Muhme tagtäglich machte, nur um des lieben Friedens willen. So pflegte sich Ursula Wolffin, noch bevor ihr Mann eine Rüge überhaupt aussprechen konnte, bereits zu entschuldigen, ganz gleich, was vorausgegangen war. Wie ein unterwürfiges Hündchen, hatte Eva dann jedes Mal gedacht, das sich seinem Herrn winselnd vor die Füße warf. Selbst die Eskapaden ihres Mannes mit blutjungen hübschen Mädchen nahm Ursula Wolffin klaglos hin, jeder in der Stadt klatschte und tratschte schon darüber, und einmal hatte sich der Ratsherr sogar an Eva rangemacht. Damals war ihre Muhme krank zu Bett gelegen, kurz nach Mariä Lichtmess, und Wolff war reichlich angetrunken von einem Kunden heimgekehrt. Gelacht und gescherzt hatte er mit Eva in der Küche, um ihr dann unvermittelt an den Busen zu grabschen. Da hatte Eva ihm auf die Finger geschlagen und gedroht, es brühwarm seiner Frau zu erzählen.
    Unwillkürlich ballte sie jetzt die Fäuste und setzte ihren Weg fort. Wer gab all diesen Männern eigentlich das Recht hierzu? Der Herrgott selbst etwa? O nein, auch wenn die Pfaffen in der Kirche solcherlei unermüdlich predigten – man musste nur ein wenig seinen Verstand gebrauchen, um zu erkennen, dass das nicht gottgegeben sein konnte. Denn nicht einmal in der Tierwelt fand sich etwas Derartiges. Da brauchte Eva nur an die dreifarbige Katze zurückdenken, die sie einst in Glatz gehabt hatten: Die hatte jeden Kater, der sich an sie ranmachen wollte, erst einmal ordentlich verdroschen. Und die Schneiderwerkstatt ihres Glatzer Oheims war von einer Hündin bewacht, die sämtlichen Gassenhunden als Rudelführerin vorstand. Wenn nun aber Gott die Menschheit als Krone seiner Schöpfung ansah, wie konnte er da die Frau unter den Rang einer Katze oder einer Hündin stellen? Und wie war zu erklären, dass Frauen, die doch

Weitere Kostenlose Bücher