Die Vampir-Polizei
mich aus Augen an, in denen die Weisheit und das Wissen von Generationen lagen. Ich hatte sie heute zum erstenmal gesehen, mir kam es vor, als würde sie mich kennen und hätte nur darauf gewartet, mich zu treffen.
Sie hob die rechte Hand und stellte den mageren Zeigefinger hoch. »Du kennst die Blutsauger. Streite es nicht ab. Ich merke genau, wenn man mich belügt. Du kennst sie, und du bist auch kein normaler Cop in dieser oft verfluchten Stadt.«
»Was macht dich so sicher?« fragte ich.
»Dein Kreuz.«
Ich räusperte mich. »Welches…«
»Nicht doch, Junge, nicht.« Sie war leicht ärgerlich, als sie ihren Kopf schüttelnd bewegte. »Es gibt Menschen, die spüren gewisse Strömungen. Ich gehöre zu den Leuten, die sehr empfindlich sind. Ich merke genau, wenn etwas meine Seele trifft. Ich habe auch die Strömungen in diesen Straßen bemerkt. Es waren gefährliche Augenblicke. Ich mußte mich zusammenreißen, wenn es mich hart traf, aber ich floh nicht. Meine Familie, die Freunde und ich sind oft sehr schlecht behandelt worden. Zigeuner, hieß es immer wieder. Menschen, die nichts taugen. Wir hätten es ihnen zurückzahlen können, aber wir sind geblieben, obwohl das Grauen bereits durch die Straßen schleicht. Die Vampire sind unterwegs, und nur du kannst sie stoppen. Versuche einen uralten Fluch zu zerstören. Mazara darf nicht zurückkehren, hast du verstanden? Wenn er es schafft, haben wir die Hölle auf Erden.«
»Was weißt du über Mazara?« Mittlerweile war ich fest davon überzeugt, keine Spinnerin vor mir zu haben.
Die Frau hob die Schultern. »Zu wenig — leider. Aber sein Geist ist damals nicht vernichtet worden, als man diese Stadt entdeckte. Sie haben alles versucht, sie verbrannten, seine Helfer…« Die Zigeunerin hob die Schultern. »Mehr ist nicht geschehen.«
»Kommt Mazara zurück?«
»Ja, Fremder, er wird kommen. Er wartet nur auf seine große Chance. Die ist bald da. Vielleicht in dieser Nacht. Die Stadt hat sich verändert, die Bronx ist eine andere geworden. Hier leben Menschen, die oft verachtet werden, aber sie haben ein besseres Gespür für Dinge, über die normale Weiße nur lachen können. Sei vorsichtig, seid alle vorsichtig, denn die Hölle kann sehr schlimm werden.« Sie schaute mich noch einmal an und gab mir einen Segen.
Dann drehte sie sich um und ging zur Tür. Niemand hielt sie auf. Die Menschen, die sie begleitet hatten, erhoben sich von ihren Bänken und gingen ebenfalls schweigend.
Ich fühlte mich zwar nicht wie ein begossener Pudel, aber so ähnlich, als ich auf dem Fleck stand und auf meine Schuhspitzen schaute. Auf keinen Fall wollte ich die Warnungen dieser Zigeunerin übergehen. Unter ihnen gibt es tatsächlich Menschen, die ein zweites Gesicht haben. Das wußte ich aus Erfahrung. Ihr war auch bekannt, daß ich ein Kreuz besaß. Woher sie das wußte, hatte sie nicht gesagt, auch ich akzeptierte es.
Auch die anderen Kollegen hatten ihre Überraschung verdaut. Sie sprachen über den Besuch der Zigeunerin. Wie ich ihren Kommentaren entnehmen konnte, waren sie ziemlich skeptisch. Einige hielten es für Spinnerei, andere wiederum waren nachdenklich geworden. Ich hatte die Barriere aufgestoßen und dachte an Mazara. Das Unheil mußte in der Erde liegen und sich irgendwann befreien. Aber wo lag dieses Unheil vergraben?
Die Kollegen beobachteten mich. Sie hatten bemerkt, daß ich mehr wußte als sie. Fragen stellten sie keine. Mein Blick fiel auf das große Zifferblatt der Normaluhr an der Wand. Noch war Zeit bis Mitternacht. Wenn sich hier etwas tat, bestimmt zur Tageswende. Ich dachte auch an Suko. Ihn hätte ich jetzt gut gebrauchen können. Wahrscheinlich ahnte er von nichts.
Ein anderer wollte mich sprechen. Er rief mich nicht, ich spürte es nur, denn er hatte den Kopf gedreht und schaute jetzt in meine Richtung. Pick saß erhöht, überblickte von seinem Platz aus den Revierraum, Nichts entging ihm, und vor ihm standen die Telefone. Heiße Drähte nach außen und auch zum Chef.
Ich ging zu ihm. Wahrscheinlich hatte ihn Hamilton schon angerufen und ihm einiges erklärt. Vor seinem Platz blieb ich stehen. Sein rundes Gesicht hatte einen roten Farbton angenommen. Die Augen blickten mißtrauisch und tückisch. »Sinclair, Sie haben mich reingelegt, verdammt!«
»Wieso?«
»Sie sind ein anderer als der, für den Sie sich ausgaben.«
»Nein, Serg, ich heiße tatsächlich John Sinclair.«
»Das mag sein, aber wenn mich der Captain anruft und mir zu
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