Die Vampire
»befreien Sie ein halbes Dutzend dieser warmblütigen Weiber, und schaffen Sie sie zur Kaserne.«
»Jawohl, Sir«, erwiderte von Klatka.
Die Gefangenen schrien und beteten. Von Klatka machte großes Aufhebens von seiner Schuldigkeit, indem er jede Frau lüstern beschielte und diese als zu alt und fett, jene als zu dünn und zäh befand. Er rief den Hauptmann zu sich, um dessen Meinung einzuholen, doch Kostaki tat, als habe er ihn nicht gehört.
Iorga und Hentzau gingen mit flatterndem Umhang davon. Der General ahmte den Stil des Fürsten nach, war jedoch zu fett, sich derart herauszuputzen.
»Er erinnert mich an Sir Charles Warren«, meinte Mackenzie. »Stolziert durch die Gegend und brüllt Befehle ohne die geringste Ahnung, wie es hier draußen an der Front tatsächlich zugeht.«
»Der General ist ein ausgemachter Narr. Wie die meisten über dem Rang eines Hauptmanns.«
Der Polizist gluckste. »Wie die meisten über dem Rang eines Inspektors.«
»Da sind wir uns einig.«
Von Klatka traf seine Wahl, und der Schließer half ihm, die - zumeist jungen - Mädchen aus dem Wagen zu zerren. Zitternd klammerten sie sich aneinander. Ihre Kleider taugten nicht für eine kühle Nacht.
»Anständige, feiste Blutzeugen werden sie uns sein«, sprach von Klatka und zwickte das erstbeste Mädchen in die Wange.
Der Schließer holte Handschellen und Ketten aus dem Wagen und begann die Auserwählten aneinanderzufesseln. Von Klatka versetzte einer von ihnen einen Klaps aufs Hinterteil und lachte wie ein ausgelassener Teufel. Das Mädchen fiel auf die Knie und betete um Erlösung. Von Klatka bückte sich und stieß ihr seine rote Zunge ins Ohr. Sie reagierte mit groteskem Ekel, und der Hauptmann schüttete sich aus vor Lachen.
»Sie, Sir«, wandte sich eine der Frauen an Mackenzie, »Sie sind doch warmblütig, helfen Sie uns, retten Sie uns …«
Mackenzie war unbehaglich zumute. Er wandte den Blick ab, barg sein Gesicht erneut in Dunkelheit.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Kostaki. »Dies geht gegen jegliche Vernunft. Azzo, schaffen Sie die Frauen zur Kaserne. Ich komme später nach.«
Von Klatka salutierte und zerrte die Mädchen von dannen. Er sang ein Hirtenlied, während er seine Herde davongeleitete. Das Quartier der Garde befand sich in der Nähe des Palastes.
»Sie sollten so etwas nicht mit ansehen müssen«, sagte Kostaki.
»Das sollte niemand«, entgegnete der Polizist.
»Da mögen Sie Recht haben.«
Die Wagen schaukelten davon, um die Gefangenen auf die Londoner Gefängnisse zu verteilen. Kostaki vermutete, dass die meisten auf einem Pfahl in Tyburn enden oder zur Zwangsarbeit nach Devil’s Dyke verbracht würden.
Er war mit Mackenzie allein. »Sie müssen einer von uns werden, Schotte.«
»Ein widernatürliches Etwas?«
»Was ist denn widernatürlicher? Leben oder sterben?«
»Auf Kosten anderer zu leben.«
»Wer wollte sagen, ob nicht auch Sie auf Kosten anderer leben?«
Mackenzie zuckte mit den Achseln. Er zog eine Pfeife hervor und füllte sie mit Tabak.
»Sie und ich haben allerhand gemein«, sagte Kostaki. »Unser beider Länder haben ihre Unabhängigkeit verloren. Sie, ein Schotte, dienen der Königin von England, ich, ein Moldauer, folge einem walachischen Fürsten. Sie sind Polizist, ich bin Soldat.«
Mackenzie setzte seine Pfeife in Brand und schmauchte. »Sind Sie zuerst Soldat oder Vampir?«
Kostaki dachte nach. »Ich würde sagen, zuallererst bin ich Soldat. Und was sind Sie zuerst, Warmblüter oder Polizist?«
»Lebendig natürlich.« Sein Pfeifenkopf glühte.
»Sie fühlen sich Jack the Ripper also verwandter als, sagen wir, Inspektor Lestrade?«
Mackenzie seufzte. »Touché, Kostaki. Ich gestehe. Ich bin vor allem Gendarm und erst in zweiter Linie ein lebendiger Mensch.«
»Dann sage ich es noch einmal: Kommen Sie zu uns. Oder möchten Sie unsere Gabe allen Ernstes Prahlhänsen wie Iorga und Hentzau überlassen?«
Mackenzie überlegte. »Nein«, sagte er schließlich. »Tut mir leid. Vielleicht werde ich die Dinge anders sehen, wenn ich dem Tod
nahe bin. Aber der Herrgott hat uns nicht als Vampire erschaffen.«
»Ich bin vom Gegenteil fest überzeugt.«
Nicht weit von ihnen erhob sich Geschrei. Männer brüllten, Frauen kreischten. Stahl traf klirrend auf Stahl. Etwas zerschellte. Kostaki nahm die Beine in die Hand. Mackenzie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Der Lärm drang aus derselben Richtung, die von Klatka eingeschlagen hatte. Nach Atem ringend, fasste sich
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