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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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schien es, als hätten sich einige der Müßiggänger davongestohlen und wichtigeren Dingen zugewandt.
    »Ich zeige hiermit an, dass diese Frau, Geneviève Dieudonné, unter meinem Schutz steht. Ich bitte, keine weiteren Schritte gegen sie zu unternehmen, damit die freundschaftlichen Bande zwischen Eurem Gebieter und mir keinen Schaden nehmen.«
    Das Mädchen überlegte einen Augenblick und antwortete dann mit einem jähen Nicken. Sie verbeugte sich abermals und zog sich hinter den Vorhang zurück. Geneviève vermochte die wabernden roten Punkte der Pfeifen selbst durch die dünne Decke zu erkennen.
    »Ich denke, das sollte genügen«, sagte Charles.
    Geneviève schüttelte den Kopf. Sie begriff nicht recht, was zwischen Charles und der neugeborenen Asiatin vorgegangen war.
    »Ich habe Freunde in den sonderbarsten Positionen«, gestand er.
    Sie waren allein. Selbst die Kinder waren verschwunden. Nachdem
Charles jenen »Herrn der seltsamen Tode« angerufen hatte, war die Straße wie leergefegt.
    »Von nun an stehe ich also unter Ihrem Schutz, Charles?«
    Er wirkte beinahe belustigt. »Ja.«
    Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Zwar fühlte sie sich auf gewisse Weise sicherer, und doch war sie ein wenig aufgebracht. »Ich glaube, ich habe Ihnen zu danken.«
    »Keine schlechte Idee.«
    Sie seufzte. »Das war alles? Kein Messen titanischer Kräfte, keine wundersame Vernichtung des Feindes, kein heroisches letztes Gefecht?«
    »Nichts weiter als ein wenig Diplomatie. Das beste aller Mittel.«
    »Und Ihr ›Freund‹ ist tatsächlich imstande, den Ältesten zurückzurufen, wie ein Jäger einen Hund bei Fuß ruft?«
    »Zweifellos.«
    Sie verließen das Jago, hin zu den »sichereren« Gefilden von Whitechapel. Das Elendsquartier wurde allein von den infernalisch glühenden Kohlenpfannen in den Hinterhöfen erhellt, die das Dunkel in schwelendes Rot tauchten. Nun aber gingen sie wieder im beruhigenden Schein der zischenden Straßenlaternen dahin. Hier schien der Nebel beinahe freundlich.
    »Die Chinesen glauben, dass, wenn man einen Menschen vor dem Tod bewahrt hat, man bis an sein Lebensende für diesen Menschen Sorge trägt. Charles, sind Sie bereit, diese Bürde auf sich zu nehmen? Ich bin schon sehr alt und habe die Absicht, noch einiges älter zu werden.«
    »Geneviève, ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass Sie meinem Gewissen zu einer allzu großen Last werden könnten.«
    Sie blieben stehen, und sie blickte ihn an. Er vermochte sein Amüsement kaum zu verbergen.
    »Sie kennen mich bloß, wie ich jetzt bin«, sagte sie. »Ich bin
nicht derselbe Mensch, der ich einmal gewesen bin oder der ich einmal sein werde. Der Zahn der Zeit kann uns äußerlich zwar nichts anhaben, aber innerlich … ist das etwas ganz anderes.«
    »Dieser Gefahr will ich mich gern aussetzen.«
    Bis Tagesanbruch blieb ihnen kaum mehr eine Stunde, und sie wurde müde. Sie war immer noch schwach und hätte eigentlich gar nicht aus dem Haus gehen dürfen. Der Schmerz im Genick war schlimmer als zuvor. Die Amworth meinte, es müsse wehtun, wenn es richtig heilen sollte.
    »Ich habe den Ausdruck schon einmal gehört«, sagte Geneviève.
    »Den Ausdruck?«
    »›Herr der seltsamen Tode‹. Der Träger dieses Titels wird, wenn auch nur selten, mit einem verbrecherischen tong in Zusammenhang gebracht. Sein Ruf ist nicht der beste.«
    »Wie ich schon sagte, er ist ein Dämon aus der Hölle. Aber wenn es um sein Wort geht, ist er ein wahrer Teufelskerl; er nimmt seine Verpflichtungen sehr ernst.«
    »Er ist Ihnen verpflichtet?«
    »So ist es.«
    »Das heißt, Sie sind ihm verpflichtet?«
    Charles schwieg. In seinem Kopf herrschte vollkommene Leere, bis auf das Bild eines Bahnhofsschildes.
    »Sie tun das mit Absicht, nicht wahr?«
    »Was?«
    »An Basingstoke denken.«
    Charles lachte. Und gleich darauf lachte auch sie.

37
    Downing Street, hinter verschlossenen Türen
    G odalming erschien verspätet zu seinem Termin. Seine sorgsam verbundene Wunde pochte, ein Schmerz, der anders war als alles, was ihm seit seiner Verwandlung widerfahren war. Sein Kopf war trunken von Penelope, der alten, warmblütigen Penelope, nicht von der Neugeborenen, die er am Cadogan Square zurückgelassen hatte. Im Wagen sank er in einen leichten Dämmer, in dem er die Weitergabe seines Geblüts ein zweites Mal durchlebte. Zugleich blutgebläht und ausgedörrt, erinnerte er sich an den dunklen Kuss. Als er selbst und als Penelope. Auch das würde

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