Die Vampire
entdecken.
»Ähm«, machte Miss Reed. »Guten Abend, Charles.«
»Ich bin gekommen, einer Kranken einen Besuch abzustatten, und finde sie wider Erwarten recht wohlauf.«
Charles verbeugte sich vor Geneviève. Miss Reeds Wissbegier war offenbar erschöpft.
»Danke für Ihre Mühe, Miss Dieudonné«, sagte sie. »Ich will Sie nun Ihrem Besucher überlassen. Guten Abend, Charles.«
Die Neugeborene flatterte in die Nacht hinaus.
»Was hatte es denn damit auf sich?«
Sie zuckte mit den Achseln, und sogleich fuhr ihr der Schmerz ins Genick. »Ich weiß nicht, Charles. Sind Sie mit Miss Reed bekannt?«
»Kate ist eine Freundin meiner … eine Freundin von Penelope.« Bei der Erwähnung des Namens seiner Verlobten - an deren verschleiertes Gesicht und dennoch unverhohlen feindseligen Blick Geneviève sich noch sehr gut erinnerte - schüttelte Charles betrübt den Kopf. »Vielleicht hat sie mit Penelope gesprochen«, gab er zu bedenken. »Was mir bislang nicht vergönnt gewesen ist.«
Unwillkürlich regte sich Genevièves Interesse. Eigentlich hätte sie über diesen Dingen stehen müssen, doch machte ihre Mattigkeit sie zu einer törichten Klatschbase.
»Wenn mich nicht alles täuscht, sollten Sie Miss Churchward heute Nachmittag einen Besuch abstatten.«
Charles bedachte sie mit einem schiefen Lächeln. »Sie täuschen sich keineswegs, aber die Umstände haben mir kurzerhand einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im St.-James-Park kam es zu einem Aufruhr.«
Sie bemerkte, dass Charles ihre Hände ergriffen hatte, wie um sie nach Knochenbrüchen abzutasten.
»Bitte verzeihen Sie meine übertriebene Neugier, aber Ihre häuslichen Verhältnisse verwirren mich ein wenig.«
»Ach, tatsächlich«, sagte er pikiert.
»Ja. Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei Miss Penelope Churchward um eine Verwandte von Miss Pamela Churchward, Ihrer ersten Frau, handelt?«
Charles’ Gesicht verriet nicht die leiseste Regung.
»Ich würde sie für Schwestern halten, wenn dem nicht entgegenstünde, dass in diesem Falle, wie durch Mr. Holman Hunt und seine Miss Waugh eindrücklich bewiesen, Ihre Verlobung nach englischem Gesetz dem Inzest gleichkäme.«
»Penelope ist Pamelas Cousine. Sie sind zusammen aufgewachsen. Wie Schwestern, wenn Sie so wollen.«
»Sie beabsichtigen also, die Nennschwester Ihrer verstorbenen Frau zu ehelichen?«
»Das war in der Tat meine Absicht.«
»Erscheint Ihnen das nicht ein wenig sonderbar?«
Charles ließ ihre Hände los und wandte sich mit verdächtig unbewegter Miene von ihr fort. »Gewiss nicht sonderbarer als jede andere Heiratsvereinbarung.«
»Charles, ich möchte Sie keineswegs in Verlegenheit bringen, aber bedenken Sie, dass ich … neulich nachts im Wagen … ohne bösen Vorsatz eine gewisse, äh, gewisse Einsicht in Ihre Gefühle für Pamela, für Penelope …«
Seufzend sagte Charles: »Geneviève, ich weiß Ihre Besorgnis durchaus zu schätzen, aber ich kann Ihnen versichern, dass dafür keinerlei Anlass besteht. Welche Motive mich auch zu dieser Verlobung bewogen haben mögen, sie sind bedeutungslos geworden. Wenn mich nicht alles täuscht, so bin ich ohne eigenes Zutun von meinem Versprechen an Penelope entbunden.«
»Mein aufrichtiges Beileid.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und kehrte ihn herum, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte.
»Ihr Beileid ist völlig fehl am Platz.«
»Ich war neulich nachts vielleicht ein wenig vorschnell in meinem Urteil über Penelope. Sie müssen verstehen, ich war nicht recht bei Sinnen. Nahe daran, hysterisch zu werden.«
»Sie waren nur knapp dem Tod entronnen«, sagte Charles mitfühlend. »Nicht mehr Herrin Ihrer selbst.«
»Dennoch bedauere ich meine Worte, meine Andeutungen …«
»Nein«, erwiderte Charles und blickte sie unverwandt an. »Sie hatten vollkommen Recht. Ich habe mich unredlich gegen Penelope benommen. Ich empfinde nicht für sie, wie ein Mann für seine Ehefrau empfinden sollte. Ich habe sie lediglich benutzt, damit sie mir das Unersetzliche ersetzen möge. Bestimmt wird sie ohne mich glücklicher sein. Neulich erst verspürte ich so ein Gefühl … ich weiß nicht recht, ein Gefühl, als ob ich einen Arm verloren hätte. Als wäre ich nicht ganz und gar ich ohne Pamela.«
»Sie meinen Penelope?«
»Ich meine Pamela, das ist ja das Fürchterliche.«
»Was haben Sie nun vor?«
»Irgendwann werde ich Penelope gegenübertreten und die Sache zwischen uns ins Reine bringen müssen. Sie wird
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