Die Vampire
»Ich beiße nicht.«
»Lügnerin.«
Sie kicherte, und er küsste sie sanft auf den Mund. Sie schlang ihre Arme um ihn und glitt mit der Zunge über seine Lippen. Sie kehrten dem Kaminfeuer den Rücken und ließen sich, ein wenig unbeholfen, auf dem Diwan nieder. Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar.
»Verführst du mich, oder verführe ich dich?«, fragte sie. »Ich weiß nicht recht.«
Bisweilen trat in den unpassendsten Augenblicken ihr Humor
zum Vorschein. Er streichelte ihre Wange mit dem Daumen. Sie küsste sein Handgelenk, berührte die verschorften Wunden mit der Zunge. Ein Schlag durchzuckte ihn. Er spürte ihn bis hinunter in die Fußsohlen.
»Spielt das eine Rolle?«, entgegnete er.
Sie presste seinen Kopf in ein Kissen, so dass er zur Decke blickte, und küsste seinen Hals.
»Ich kann dir wahrscheinlich nicht die Art von Liebe bieten, die du gewohnt bist«, sagte sie. Ihre Zähne waren unterdessen spitzer und länger geworden.
Das Hemd war ihr aus dem Rock gerutscht und stand nun offen. Sie war von hübschem, schlankem Wuchs. Auch seine Kleider hatten sich gelöst.
»Dasselbe könnte ich dir sagen.«
Sie lachte, ein kehliges Männerlachen, und schnappte sacht nach seinem Hals. Das Haar fiel ihr ins Gesicht, strich über seinen Mund und kitzelte ihn in der Nase. Seine Hände glitten unter ihr Hemd und liebkosten ihr den Rücken und die Schultern. Er spürte die vampirische Kraft der Muskeln unter ihrer Haut. Mit den Zähnen pflückte sie die Knöpfe aus Kragen und Hemd und spie sie quer durch das Zimmer. Er versuchte sich auszumalen, wie Bairstow sie im Verlauf der nächsten Wochen einen nach dem anderen finden würde, und lachte.
»Was ist so komisch?«
Er schüttelte den Kopf, und sie küsste ihn abermals, auf Mund, Augen und Hals. Er fühlte, wie sein Blut pulsierte. Nach und nach, unter allerlei Liebkosungen, entledigten sie einander der vier oder fünf Kleiderschichten, die man gemeinhin für ziemlich hielt.
»Wenn du glaubst, du verrichtest hier eine Herkulesarbeit«, sagte sie, als er an ihrem Unterzeug erneut auf eine Reihe von Haken gestoßen war, »hättest du einmal versuchen sollen, um eine
hochwohlgeborene Dame des ausgehenden fünfzehnten Jahrhunderts zu freien. Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass meine Generation überhaupt Nachkommen zuwege gebracht hat.«
»In heißerem Klima bereitet all das weniger Schwierigkeiten.«
»Weniger Schwierigkeiten bedeuten aber noch lange nicht größeres Vergnügen.«
Sie legten sich nieder und wärmten einander.
»Du hast ja lauter Narben«, sagte sie und zeichnete den Schmiss unterhalb seiner Rippen mit dem Fingernagel nach.
»Im Dienst der Königin erworben.«
Sie entdeckte zwei Schusswunden in seiner rechten Schulter, wo die Kugel ein- und ausgetreten war, und leckte die längst verheilte Wunde unter seinem Schlüsselbein.
»Was machst du eigentlich genau für Ihre Majestät?«
»Auf halbem Weg zwischen Diplomatie und Krieg liegt der Diogenes-Club.«
Er küsste ihre Brüste, grub die Zähne zärtlich in ihr Fleisch.
»Du hast überhaupt keine Narben. Nicht einmal ein Muttermal.«
»Äußerlich bleibe ich unversehrt.«
Ihre Haut war blass und rein, beinahe haarlos. Sie legte sich zurecht, um ihm das Eindringen zu erleichtern, und biss auf ihre schwellende Unterlippe, während er sich behutsam über sie schob.
»Na also«, sagte sie. »Endlich.«
Er glitt in sie und seufzte erleichtert auf. Ihn mit Armen und Beinen umklammernd, reckte sie den Kopf und hieb die Zähne sanft in seinen Hals.
Ihm war, als ob eisige Nadeln ihn durchbohrten, und einen Lidschlag lang befand er sich in ihrem Geist. Sie war unermesslich. Die Spur ihrer Erinnerung verlor sich in der trüben Ferne wie die Bahn eines Sterns in einer entlegenen Galaxie. Er spürte,
wie er sich in ihr bewegte, schmeckte sein Blut auf ihrer Zunge. Dann war er wieder ganz er selbst. Ihn schauderte.
»Sag halt, Charles«, flüsterte sie, und Blutstropfen schimmerten zwischen ihren Zähnen. »Wenn es wehtut, sag halt.«
Er schüttelte den Kopf.
48
Der Tower von London
E in Brief unter dem Siegel Lord Ruthvens genügte, ihm eine Audienz zu verschaffen. Der Abstieg über die steingewandete Treppe schien dem neugeborenen Yeoman Warder beträchtliche Mühe zu bereiten, während Godalming ihm federleichten Schrittes folgte. Es fiel ihm schwer, seine Energien im Zaum zu halten. Er hätte platzen können vor lauter Aufregung. Die Wache war ihm geistig wie auch körperlich
Weitere Kostenlose Bücher