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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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einen dreißig Fuß hohen, durchscheinenden Seidenvorhang, und sie trat mit Charles durch die Öffnung. Ihr war, als entfalte sich ein riesenhaftes Spinnennetz, die ahnungslose
Fliege anzulocken. Diener erschienen im Gefolge einer Vampirhofdame, und Charles und Geneviève wurden ihrer Umhänge entledigt. Ein Karpater, dessen maskenhaftes Gesicht mit rauen Haarborsten bewachsen war, wachte darüber, dass Charles seinen Stock aushändigte. Silber war bei Hof nicht geduldet. Sie trug keine Waffe bei sich, die sie hätte herausgeben können …
     
    … er hatte alles versucht, sie davon abzubringen, ihn zu begleiten, ohne ihr jedoch zu verraten, welche Pflicht er zu erfüllen hatte. Beauregard wusste, dass er sterben würde. Sein Tod diente einem hohen Zweck, und er verspürte keine Furcht. Doch es zerriss ihm fast das Herz, wenn er darüber nachsann, was aus Geneviève werden mochte. Dies war schließlich nicht ihr Kreuzzug. Wenn sich eine Gelegenheit ergäbe, wollte er ihr zur Flucht verhelfen, und wenn es ihn das Leben kostete. Doch seine Pflicht wog mehr als ihrer beider Schicksal.
    Als sie, von der Wollust ihrer Vereinigung erhitzt, beisammenlagen, sagte er ihr, was er seit Pamela keiner Frau mehr gesagt hatte.
    »Gené, ich liebe dich.«
    »Und ich dich, Charles.«
    »Ich dich, was hat das zu bedeuten?«
    »Liebe, Charles. Ich liebe dich.«
    Und wieder spürte er ihre Lippen, und sie wälzten sich in wohligem Behagen …
     
    … ein Armadill, dessen Hinterteil mit seinem eigenen Dreck verkrustet war, watschelte um ihre Füße. Vlad Tepes hatte den Regent’s Park Zoo geplündert und ließ exotische Spezies ungehindert den Palast durchstreifen. Dieses arme, zahnlose Geschöpf zählte zweifellos zu seinen ungefährlicheren Schoßtieren.
    Die Hofdame, die sie durch die weite, kathedralenhafte Empfangshalle
geleitete, trug eine schwarze Samtlivree mit dem königlichen Wappen über der Brust. In ihren eng anliegenden karierten Beinkleidern und den kniehohen, mit Goldschnallen versehenen Stiefeln sah sie aus, als spiele sie die Hosenrolle in einem weihnachtlichen Feenstück. Obgleich niedlich anzuschauen, hatte ihr Gesicht jede Spur weiblicher Sanftheit verloren, die es zu ihren Lebzeiten besessen haben mochte.
    »Sie haben mich offenbar vergessen, Mr. Beauregard«, sagte sie.
    Charles erwachte verwirrt aus seinen Gedanken. Er betrachtete die Hofdame genauer.
    »Wir sind uns vor einigen Jahren bei den Stokers begegnet«, erklärte sie. »Vor der Wende.«
    »Miss Murray?«
    »Die Witwe Harker. Wilhelmina. Mina.«
    Geneviève wusste, wer diese Frau war: ein Spross des Fürsten. Nach Jack Sewards Lucy die zweite britische Eroberung des Prinzgemahls. Wie auch Jack und Godalming hatte sie zu Van Helsings Gruppe gehört.
    »Der grauenvolle Mörder war also niemand anders als Dr. Seward«, sagte Mina Harker nachdenklich. »Wie auch Lord Godalming wurde er verschont, nur um zu leiden und andere leiden zu lassen. Wie wäre Lucy von ihren Bewerbern doch enttäuscht gewesen.«
    Geneviève blickte hinein in Mina Harker und erkannte, dass die Frau dazu verurteilt war - sich selbst dazu verurteilt hatte -, mit den Folgen ihres Unvermögens zu leben. Ihr Unvermögen, Vlad Tepes zu widerstehen, das Unvermögen ihres Zirkels, den Eindringling in eine Falle zu locken und zu vernichten.
    »Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie hier anzutreffen«, platzte Charles heraus.
    »Als Bedienstete in der Hölle?«

    Sie waren am Ende der Halle angekommen. Vor ihnen befanden sich weitere Türen. Mina Harker sah die beiden an, ihre Augen waren wie glühendes Eis. Sie klopfte gegen ein Paneel, und das Pochen ihrer Fingerknöchel hallte laut wie ein Revolverschuss durch den riesigen Saal …
     
    … Beauregard entsann sich der warmblütigen Mina Harker, die an der Seite von Florence, Penelope oder Lucy so offenherzig und natürlich wirkte und wie Kate Reed dem Glauben anhing, dass eine Frau einen Beruf ergreifen solle, mehr sein müsse als die bloße Zierde ihres Mannes. Doch jene Frau lebte nicht mehr, und diese blassgesichtige Hofschranze war nichts weiter als ein fahler Schatten ihrer selbst. Ebenso ein Schatten wie Seward und nicht zuletzt auch Lord Godalming. Sie beide, der Prinzgemahl und jener Totenschädel auf der Pike, hatten eine Vielzahl zerstörter Existenzen auf dem Gewissen.
    Die Flügeltüren öffneten sich mit lautem Knarren, und ein furchteinflößender Bedienter gewährte ihnen Einlass in ein hell erleuchtetes Vorzimmer. Der bunte

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