Die Vampire
Wolfszähne blieben unverändert, während rings um die schroffen Wangen alles unaufhörlich die Gestalt veränderte und sich mal in eine haarige, nasse Schnauze, mal in einen knochigen, kahlen Totenschädel verwandelte.
Ein edel gekleideter Vampirjüngling, aus dessen Kragen ein wahrhafter Strauß von Spitze hervorbrach, erklomm die Estrade.
»Dies sind die Helden von Whitechapel«, erklärte er, wobei er sich mit einem Schnupftuch Luft zufächelte. Beauregard hatte den Premierminister sogleich erkannt.
»Ihnen allein haben wir die Vernichtung jener rücksichtslosen Mörder zu verdanken, welche als Jack the Ripper bekannt sind«, fuhr Lord Ruthven fort. »Dr. John Seward von schändlichem Angedenken und, äh, Arthur Holmwood, der furchtbare Verräter …«
Der Fürst verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln, seine Schnurrbartspitzen knarrten wie Lederriemen. Ruthven, Godalmings Fangvater, war sichtlich verstimmt wegen der Erinnerung an jene Schreckenstaten, deren sich sein Zögling in den Augen des Volkes mitschuldig gemacht hatte.
»Ihr habt uns brav und treu gedient, meine lieben Untertanen«, sagte Dracula, doch das Lob klang ganz wie eine Drohung …
… indem Ruthven neben Fürst Dracula hintrat, machte er das Herrschertriumvirat komplett: die beiden Vampirältesten und die neugeborene Königin. Vlad Tepes ließ nicht den geringsten Zweifel daran, wer an der Spitze dieser Dreieinigkeit der Macht stand.
Geneviève war Ruthven ein knappes Jahrhundert zuvor auf einer Reise durch Griechenland begegnet. Damals war er ihr wie ein Dilettant erschienen, der sich mit romantischen Tändeleien verzweifelt bei Laune zu halten suchte, weil die Ödnis eines langen Lebens ihn so sehr bedrückte. Als Premierminister nun hatte er seinen ennui gegen die Ungewissheit eingetauscht, da er wohl wusste, dass mit jeder neuen Beförderung auch die Wahrscheinlichkeit wuchs, dereinst in ungeahnte Tiefen hinabgestürzt zu werden. Sie fragte sich, ob denn niemand außer ihr die Furcht zu sehen imstande war, die sich wie eine Ratte an Lord Ruthvens Busen nährte.
Dracula musterte Charles eindringlich, wohlwollend beinahe. Geneviève spürte, wie das Blut ihres Geliebten in Wallung geriet, und bemerkte, dass sie die Zähne gefletscht und die Finger zu Klauen verkrümmt hatte. Sie zwang sich, vor dem Thron eine demütige Haltung anzunehmen.
Der Fürst wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu und hob eine buschige Augenbraue. Eine Fülle verkrusteter Narben verzerrte seine sanften Züge.
»Geneviève Dieudonné«, sagte er und ließ sich den Namen auf der Zunge zerfließen, als wolle er den Silben dadurch neuen Sinn abringen. »Ich habe früher schon von Euch vernommen.«
Sie streckte ihre leeren Hände aus.
»Als ich diesen Ehrenplatz einnahm«, fuhr er, von ausladenden Gebärden begleitet, fort, »war Euer Name vielgerühmt. Es bedeutet Mühsal, mit den Wanderungen von unsereins Schritt zu halten. Hier und da empfing ich Nachricht über Euch.«
Der Fürst schien mit jedem seiner Worte weiter aufzuschwellen. Vermutlich blieb er nicht nur unbekleidet, weil er es so wollte, sondern weil Kleider seinem fortwährenden Wandel der Gestalt nicht standzuhalten vermochten.
»Wenn mich nicht alles täuscht, so zähltet Ihr eine entfernte Verwandte meiner Familie zu Euren Freundinnen.«
»Carmilla? In der Tat«, entgegnete Geneviève.
»Eine zarte Blume, die wir schmerzlich vermissen.«
Geneviève nickte zustimmend. Die zuckersüße Besorgtheit dieses Monstrums verursachte ihr Übelkeit, schnürte ihr die Kehle zu. Ebenso zärtlich und gedankenlos wie ein Herr seinen alten Jagdhund tätschelt, streckte der Fürst die Hand aus und strich über das wirre Haar der Königin. Furcht loderte in ihrem Blick. Am Fuß der Thronestrade kauerte ein Häuflein mit Leichentüchern angetaner nosferatu -Weiber, die von Dracula verschmähten Ehefrauen. Allesamt Schönheiten, zerfetzten sie schamlos ihre Gewänder, so dass Glieder, Brüste und Lenden zum Vorschein kamen. Sie fauchten und gierten wie Katzen. Die Königin hatte offensichtlich schreckliche Angst vor ihnen. Dracula schloss seine gewaltigen Finger um Viktorias zerbrechlichen Schädel und drückte behutsam zu.
»Mylady«, fuhr er fort, »warum seid Ihr nicht schon früher an meinen Hof gekommen? Wir hätten Euch mit Freuden auf unserem schmerzlich vermissten Schloss Dracula in Transsylvanien
oder diesem etwas moderneren Anwesen empfangen. Alle Ältesten sind uns willkommen.«
Draculas
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