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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Einladung in den Palast persönlich überbracht: Martin Cuda, der den Kopf gesenkt hielt und vorgab, sie nicht wiederzuerkennen, sowie Rupert von Hentzau, ein ruritanischer Lebemann, dessen gesucht sardonisches Lächeln sich fortwährend in ein grausiges Lachen zu verwandeln drohte. Obgleich sie als mehr oder minder dauerhaft amtierende Direktorin von Toynbee Hall nun alle Hände voll zu tun hatte, konnte sie die Einladung der Königin unmöglich ignorieren. Vermutlich wollte man sie für ihren Beitrag zur Beendigung der Laufbahn Jack
the Rippers loben. Eine private Ehrung zwar, aber dennoch eine Ehrung.
    Man hatte ihre Namen aus dem Spiel gelassen. Charles hatte darauf beharrt, dass die Polizei den Ruhm für sich in Anspruch nehmen solle. Die Öffentlichkeit lebte in dem Glauben, dass Constable Collins auf Seward und Godalming gestoßen sei, als diese das Zimmer verließen, wo sie Mary Jane Kelly gemeinschaftlich verstümmelt hatten. Eilends herbeigerufene Hilfstruppen hatten Miller’s Court abgeriegelt, und in dem Durcheinander waren die beiden Mörder ums Leben gekommen. Entweder hatten sie einander den Garaus gemacht, um dem Pfahl zu entgehen, oder aber die entsetzten, aufgebrachten Polizisten hatten sie auf der Stelle vernichtet. Da sie wussten, wie die Gesetze in London neuerdings gehandhabt wurden, gaben die meisten letzterer Erklärung den Vorzug, wenngleich Mme. Tussauds Schreckenskammer ihren Besuchern eine bis hin zu den Kleidern lebensechte Nachbildung der beiden Ripper offerierte, die einander ausweideten.
    Sir Charles Warren hatte sein Amt bei Scotland Yard mit einem Posten in Übersee vertauscht, und Caleb Croft, ein Ältester und dem Ruf nach ein Leuteschinder, hatte seinen Platz eingenommen. Lestrade und Abberline wandten sich anderen Fällen zu. Die Stadt machte Jagd auf einen neuen Wahnsinnigen, einen warmblütigen Mörder von barbarischer Gemütsart und Erscheinung namens Edward Hyde. Er hatte zunächst ein kleines Kind zu Tode getreten und hernach ein ehrgeizigeres Ziel in Angriff genommen, indem er einen entzweigebrochenen Spazierstock ins Herz des neugeborenen Parlamentsabgeordneten Sir Danvers Carew stieß. Doch auch wenn Hyde gefasst wäre, ließe der nächste Mörder nicht lange auf sich warten, und der nächste, und der nächste …
    Als sie den Trafalgar Square passierten, war das Innere des Wagens
mit einem Mal von rot flirrendem Flammenschein erfüllt. Obgleich die Polizei alles tat, die Freudenfeuer zu löschen, gelang es den Aufrührern immer wieder, sie von neuem zu entzünden. Heimlich wurden Holzabfälle herbeigeschafft, und selbst Kleidungsstücke dienten als Brennstoff. Da die Neugeborenen unter einer geradezu abergläubischen Angst vor Feuer litten, schlugen sie einen weiten Bogen um die Brände. Die Aufständischen prügelten sich mit der Polizei, während die Löschmannschaften einen halbherzigen Versuch unternahmen, ihre Wasserschläuche auf die Flammen zu richten. Captain Eyre Massey Shaw, der beliebte Leiter der Londoner Feuerwehr, war kürzlich aus dem Amt entfernt worden, weil er sich angeblich geweigert hatte, etwas gegen die Feuersbrunst am Trafalgar Square zu unternehmen. Dr. Callistratus, ein finsterer Transsylvanier ohne bemerkenswerte Erfahrung und bar jeglichen Interesses, was die Brandbekämpfung anbetraf, wurde als sein Nachfolger benannt, war dem Vernehmen nach allerdings außerstande, seine Amtsstube zu betreten, da Berge von Rücktrittsgesuchen ihm den Zutritt versperrten. Geneviève blickte hinaus auf die Berge lodernder Holzscheite rings um die Bronzelöwen; die Flammen schlugen an der Nelson Column hinauf und schwärzten diese bis zu einem Drittel ihrer Höhe mit Ruß. Dereinst zum Gedenken an die Opfer des Blutsonntags entfacht, hatten die Feuer unterdessen eine andere Bedeutung. Aus Indien wurden Gerüchte laut, denen zufolge sich eine neuerliche Meuterei ereignet hatte. Sir Francis Varney war von Sepoys aus der Roten Festung von Delhi geschleift und vor die Mündung eines seiner Geschütze gebunden worden. Nachdem sie ihm eine Mixtur aus Alteisen und Silbersalzen durch die Brust geschossen hatten, verbrannten sie Varney auf dem Scheiterhaufen, bis nichts weiter von ihm übrigblieb als ein Häuflein Asche und Knochen. Zahlreiche britische Soldaten und Beamte hatten sich den einheimischen Rebellen angeschlossen.
Wollte man den Flugblättern Glauben schenken, deren Quellen zweifellos in höchsten Positionen zu suchen waren, so erlebte Indien eine offene

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