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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Aufzug des Lakaien hob die zahlreichen grotesken Missbildungen seines Körpers nachdrücklich hervor. Doch war er keineswegs das neugeborene Opfer eines tragischen Versuchs, die Gestalt zu wandeln, sondern ein warmblütiger Mann, der seit seiner Geburt unter abscheulichen Gebrechen litt. Seine Wirbelsäule war immens verkrümmt, und seinem Rücken entsprossen Auswüchse von der Größe eines Brotlaibes. Bis auf den linken Arm waren seine Glieder gedunsen und verdreht. Sein aufgeschwollener Schädel war mit knöchernen Knollen bedeckt, aus denen Haarbüschel hervorsprossen, und sein Gesicht lag fast gänzlich hinter warzigen Wucherungen versteckt. Obgleich Mycroft ihn darauf vorbereitet hatte, gab sein jammervoller Anblick Beauregard einen Stich ins Herz.

    »Guten Abend«, sagte er. »Merrick, nicht wahr?«
    Irgendwo in den verborgenen Tiefen von Merricks teigigem Gesicht bildete sich ein Lächeln. Er erwiderte den Gruß, was dank der Fleischwülste rings um seinen Mund jedoch kaum zu verstehen war.
    »Wie geht es Ihrer Majestät heute Abend?«
    Obgleich Merrick keine Antwort gab, vermeinte Beauregard in den unergründlichen Massen seines Gesichts eine Regung zu erkennen. Eine Spur von Traurigkeit lag in seinem einäugigen Blick, und ein grimmiger Zug spielte um seine verwachsenen Lippen.
    Beauregard reichte Merrick eine Karte und sagte: »Mit den besten Empfehlungen des Diogenes-Clubs.« Der Mann hatte verstanden und neigte zustimmend den massigen Schädel. Auch er diente der herrschenden Clique.
    Merrick geleitete sie über den Korridor. Krummbucklig wie ein Gorilla trieb er seinen Körper mit kraftvollen Bewegungen seines überlangen, in einer klumpigen Faust endenden Arms voran. Dem Prinzgemahl bereitete es offenbar Vergnügen, diese armselige Kreatur bei Hof zu halten. Beauregard empfand wachsenden Abscheu vor dem Vampir. Merrick klopfte an eine Tür, die ihn doppelt und dreifach überragte …
     
    … lächerlich spät erst erkannte sie, dass Charles nicht im Geringsten fürchtete, was auch immer er im Palast vorfinden mochte. Er fürchtete um sie, fürchtete um die Folgen dessen, was binnen kurzem geschehen würde. Er drückte ihre Hand.
    »Gené«, sagte er, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, »wenn dir meinetwegen etwas zustößt, so tut es mir aufrichtig leid.«
    Sie verstand nicht, was er damit meinte. Während sie sich noch bemühte, ihm zu folgen, beugte er sich zu ihr herab und küsste sie auf den Mund, wie es sonst nur Warmblüter taten. Sie spürte
seinen Geschmack auf ihrer Zunge, und die Erinnerung kehrte zurück …
     
    … in der Dunkelheit klang ihre Stimme kühl. »Dies könnte ewig währen, Charles. Ewig.« Er musste an seine Zusammenkunft mit Mycroft denken. »Nichts währt ewig, mein Liebling …«
     
    … er ließ den Kuss enden und trat einen Schritt zurück; Geneviève war verwirrt. Dann ging die Tür auf, und sie wurden zur königlichen Audienz vorgelassen.
    Von zerbeulten Leuchtern und Lüstern spärlich erhellt, hatte sich der Thronsaal in einen wahrhaften Schweinestall verwandelt, wo es von Menschen und Tieren nur so wimmelte. Die ehemals eleganten Wandbehänge waren fleckig und zerrissen. Beschmutzte und geschändete Gemälde hingen merkwürdig schief oder lagen achtlos hinter Möbelstücken aufgestapelt. Lachende, schluchzende, grunzende, wimmernde und kreischende Kreaturen saßen über Diwans und Teppiche verstreut. Ein nahezu unbekleideter Karpater rang mit einem riesenhaften Affen; ihre Füße scharrten und schlitterten über die kotverschmierten Marmorfliesen. Der Gestank nach geronnenem Blut und Exkrementen war ebenso streng wie in Miller’s Court Nummer 13.
    Merrick meldete sie der Gesellschaft; es bereitete ihm sichtlich Mühe, ihre Namen herauszubringen. Jemand ließ auf Deutsch eine schändliche Bemerkung über sein Leiden fallen. Grausige Lachsalven übertönten den Lärm, der auf den Wink einer tellergroßen Hand jäh verstummte. Die Geste gebot der Versammlung Einhalt; der Karpater stieß das Gesicht des Affen zu Boden und machte dem Muskelwettstreit ein frühzeitiges Ende, indem er dem Tier kurzweg das Rückgrat brach.
    An der erhobenen Hand steckte ein gewaltiger Diamantring,
der den glühenden Schimmer von sieben Feuern in sich barg. Geneviève hatte den Kohinoor sofort erkannt, den »Berg des Lichts«, den größten Edelstein auf Erden und zugleich das Herzstück jener Sammlung, welche als die Kronjuwelen bekannt war. Ihr Blick war wie gebannt von

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