Die Vampire
Ruthven. »Die gefährliche und geheimnisvolle Mata Hari.«
»Meine? Wohl kaum.«
»Ohne Ihre Mithilfe hätten wir sie nie gefasst.«
Beauregard kehrte bescheiden die Handflächen nach oben. Obgleich die Presse sie groß herausgestellt hatte, war Geertruida Zelle nicht die Spionin, als die sie ausgegeben wurde. Dennoch hatte man sie gefasst, und nun sah sie ihrer Hinrichtung entgegen. Ihre
»Opfer« waren in der Hauptsache hochrangige französische Offiziere, unter ihnen auch der unselige General Mireau. Pétain bestand auf ihrer zeremoniellen Vernichtung, während Beauregard den Premierminister ersucht hatte, sie zu begnadigen. Doch das war unwahrscheinlich: Da die Deutschen Schwester Edith Clavell auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatten, glaubte Ruthven, um die Rechnung auszugleichen, kämen die Alliierten nicht umhin, Mata Hari zu erschießen.
»Wir alle sind doch Männer von Welt«, meinte der Premierminister. »Ich für meinen Teil kann mir durchaus vorstellen, weshalb das deutsche Oberkommando die Künste einer Mata Hari auf Malinbois zum Einsatz bringt. Der Graf pflegt seine unerschrockenen Krieger reichlich zu belohnen.«
Churchill steckte das blutbesudelte Kaninchen in seine Jagdtasche zurück und brach in gurgelndes Gelächter aus. Er hatte Madeira in den Adern, und seine Augen röteten sich in den Winkeln. Bis auf das Karminrot seiner schlaffen Lippen war sein volles Gesicht puderweiß.
»Hier geht es um mehr als bloße Unzucht oder Schwelgerei«, sagte Beauregard zurückhaltend. »Wenn sie es hoch hergehen lassen wollten, würden die Deutschen daraus kein Geheimnis machen. Im Gegenteil, sie tun ihr Bestes, um den amourösen Ruhm der Flieger-Asse noch zu mehren, indem sie Romanzen mit berühmten Schönheiten erfinden, die kaum länger dauern als eine Pose für die Pressefotografen.«
Ruthven blickte in die Runde seiner Berater und tippte sich mit dem Fingernagel gegen einen Vorderzahn. Er dachte demonstrativ nach.
»Smith-Cumming«, sagte er. »Was macht unser alter Freund Graf von Dracula?«
Der Meisterspion zog ein Büchlein voller in einer persönlichen Chiffre verfasster Notizen zu Rate.
»Er ist in Berlin gesehen worden. Er wird kommenden Monat in Brest-Litowsk mit den bolsheviki zusammentreffen, wo sich der Iwan aller Voraussicht nach zur Demobilisierung bereiterklären wird.«
»Jammerschade. Schließlich bin ich stets dafür gewesen, das Britische Empire bis auf den letzten Tropfen Russenblutes zu verteidigen.«
Die Generale und Minister lachten verhalten über Ruthvens Scherz. Selbst der maskenhafte Mr. Croft setzte ein gequältes Lächeln auf.
Smith-Cumming blätterte um. »Unter unseren Berliner Agenten herrscht bemerkenswerte Einigkeit darüber, dass der Graf keineswegs die Absicht hat, dem Château du Malinbois kommenden Monat einen Besuch abzustatten. In diesem Falle scheint es höchst sonderbar, dass uns diese Nachricht derart aufgedrängt wird. Schließlich macht sich auch niemand die Mühe, uns davon zu unterrichten, dass der Kaiser keineswegs die Absicht hat, seinem Barbier einen Besuch abzustatten, um sich die Schnurrbartspitzen wichsen zu lassen.«
»Kommenden Monat?«, brummte Churchill.
»Wird der Graf sich nicht in Malinbois aufhalten«, bekräftigte Smith-Cumming.
»Wann hat Dracula das Château zum letzten Mal besucht?«
»Vor etwa hundert Jahren, Herr Premierminister.«
»Was schließen wir daraus?«
Smith-Cumming zuckte die Achseln. »Eine raffinierte Intrige ist im Gange, keine Frage. Wir messen uns mit Meistern ihres Faches.«
»Wenn die Russen erst einmal aus dem Spiel sind, wird der Hunne einen Großangriff auf die Westfront ansetzen«, sagte Churchill. »Graf Dragulya ist berühmt für diese Vernichtungstaktik.«
Churchill bevorzugte eine wunderliche Aussprache von »Dracula«. Doch das war nur eine seiner unzähligen Schrullen.
»Das ist doch lachhaft«, polterte General Sir Henry Wilson. »Dazu fehlen dem Kaiser die Männer und die Mittel, der Schliff und der Schneid. Haig wird Ihnen bestätigen, dass Deutschland ein ausgemachter Popanz ist. Der Hunne ist schwer getroffen, er hat den Kopf verloren. Er kann nur mehr im Staube kriechen und verbluten.«
»Es wäre mir ein Vergnügen, Ihnen zuzustimmen«, sagte Ruthven, »doch den Wilden Willi zu bekämpfen, wollen wir anderen überlassen. Winston hat ganz Recht. Uns steht ein Generalangriff bevor. Ich bin mit dem transsylvanischen Rohling seit alters bekannt. Er ist so falsch wie Katzengold, er sagt
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