Die Vampire
hatten
seine Bemühungen jedoch nur zu einer wachsenden Flut von widersprüchlichen Notizen seiner Vorgesetzten geführt. Trotzdem hatte Poe ihn in sein Herz geschlossen. Er war die einzige Seele in ganz Prag, die Poe nicht allein der Schlacht von St. Petersburg und des »Raben« wegen kannte, und hatte ihn sogar gebeten, eine billige Ausgabe der Tales of Mystery and Imagination mit einer Widmung zu versehen. Zwar hatte Kafka beiläufig erwähnt, dass auch er gelegentlich zur Feder greife, doch da Poe keine nähere Bekanntschaft mit dem Juden schließen mochte, gab er sich betont gleichgültig. Poe wurde einem gewissen Hanns Heinz Ewers vorgestellt, einem überaus vornehm gekleideten Vampir, der sich offenbar auf vielerlei Gebieten für bewandert hielt. Anders als die meisten Deutschen trug er keine Uniform, sondern einen Anzug.
»Welche Ironie, Herr Poe«, sagte Ewers, »wir sind wahrhaftig Zwillinge, Spiegelbilder, Doppelgänger. Als der Krieg ausbrach, war ich in Ihrem Vaterland, in New York City …«
»Ich betrachte das föderalistische Amerika schon seit langem nicht mehr als mein Vaterland. Ich habe mein Nationalgefühl bei Appomattox verloren.«
»Wie Sie meinen. Auch ich war verzweifelt, wie Sie es jetzt sind. Auch ich war Dichter, Philosoph und Visionär, schrieb Aufsätze, Abhandlungen und Sensationsromane. Ich habe neue Gebiete der Kunst für mich erobert, einschließlich des Kinematographen. Als Vorhallen-Agitator stand ich in den Diensten meines Kaisers, aber leider reichten meine Bemühungen nicht aus, das Missverständnis zwischen der Neuen und der Alten Welt zu klären. Ich wurde interniert und deportiert. Ich wollte Sie schon lange einmal kennenlernen, Herr Poe.«
Poe blickte Ewers in die Augen und sah, dass etwas fehlte. Ewers war eine halbfertige Imitation, die ihre inwendigen Mängel durch Übertreibung wettzumachen versuchte.
»Ich habe kurzzeitig erwogen, Sie zu verklagen, Herr Ewers«, sagte Poe geradeheraus. »Der Student von Prag, ein Lichtspiel, für das Sie verantwortlich zeichnen, ist ein schmähliches Plagiat meiner Erzählung ›William Wilson‹.«
Die Beschuldigung traf Ewers wie eine Ohrfeige ins Gesicht, doch er hatte sich im Nu gefasst. »Gewiss nicht mehr und nicht weniger, als Ihr ›William Wilson‹ ein Plagiat E.T.A. Hoffmanns ist.«
»Kein Vergleich«, erwiderte Poe ungerührt.
Ewers lächelte. Der Mann erfüllte Poe mit Abscheu. Sein Betragen war ebenso töricht, ungeschlacht und fadenscheinig wie seine Romane und Erzählungen. Dass er beim Film arbeitete, stand ihm bestens zu Gesicht. Den Grimassen, Verrenkungen und Narreteien des kinema war eine Vulgarität zu eigen, die an Ewers haftete wie nasser Kot.
»Der Fall Edgar Poe wäre zu prüfen«, erinnerte Kafka und hielt einen dicken Ordner voller Papiere in die Höhe.
»Nein«, sagte Ewers und ergriff den Ordner mit der ganzen Kraft eines Untoten. »Was Sie betrifft, so ist der Fall Edgar Poe hiermit erledigt. Deutschland benötigt seine Dienste, und Prag wird ihn mir als Repräsentanten von Kaiser und Krone übergeben.«
Kafka zauderte, und seine Augen flackerten. Poe war ungewiss, doch es schien, als zaudere der Schreiber aus Sorge um ihn.
Ein einbeiniger Mann mit verhülltem Gesicht humpelte vorüber. Auf dem Rücken trug er einen Korb wie eine Winzerkiepe, halbvoll mit stehengebliebenen Taschenuhren.
»Herr Poe«, sagte Ewers, »man hat Sie für eine gewisse Aufgabe von größter nationaler Bedeutung auserwählt …«
»Der Wind hat sich gedreht, Herr Ewers. Ich blicke auf eine hervorragende Militärlaufbahn in meinem früheren Vaterland zurück, einschließlich eines Studiums an der Akademie von West
Point, und doch wurden all meine Bemühungen, als Freiwilliger in die Armeen der Kaiserreiche einzutreten, schroff und verächtlich abgewiesen. Obwohl ich eine international anerkannte Autorität auf dem Gebiet der modernen Kriegsführung bin, habe ich auf meine zahlreichen brieflichen Vorschläge an die Herren Generale Moltke, Falkenhayn, Ludendorff und Hindenburg keinerlei Antwort erhalten …«
»Im Namen des Kaisers und des Grafen von Dracula möchte ich Ihnen das Bedauern einer ganzen Nation aussprechen«, verkündete Ewers und streckte die Hand aus, als wolle er den Segen spenden.
Kafkas Blick schnellte zwischen Poe und Ewers hin und her. Poe hatte den Eindruck, dass der Jude seine Ansichten über den Deutschen teilte, wenngleich er über einen weitaus größeren Erfahrungsschatz verfügte, um seinen
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