Die Vampire
Widerwillen zu rechtfertigen.
»Worauf warten Sie?«, schnauzte Ewers den Schreiber an. »Herr Poe ist ein wichtiger Mann. Händigen Sie ihm seine Reisepapiere aus. Wir werden morgen in Berlin erwartet.«
Kafka schlug seinen Aktenordner auf und reichte Poe ein Dokument.
»Die benötigen Sie jetzt nicht mehr«, sagte Ewers, zerrte mit scharfen Krallen an Poes Ärmel und riss die Armbinde herunter. »Von nun an sind Sie in den Kaiserreichen so sicher, als wären Sie ein reinblütiger Deutscher.«
Mit einem Schlag fühlte sich Poe ein zweites Mal verwandelt.
6
Mata Hari
D ie Gefangene war Beauregards Bitte um einen Besuch mit Freuden nachgekommen. Auch wenn er nicht in Sachen Malinbois hätte ermitteln müssen, hätte er sie vermutlich aufgesucht. Obgleich er bei ihrem Prozess ausgesagt hatte, waren sie einander nie begegnet.
Als er den Verschlag des Stabswagens öffnete und auf den Exerzierplatz trat, war ihm, als setze er den Fuß auf einen Friedhof. Die Verurteilte wurde in einer Kaserne bei Paris gefangen gehalten, die schon lange nicht mehr ihren ursprünglichen Zwecken diente, da die Bewohner fort, vom Krieg verschlungen waren. Die leeren Fenster der langen Gänge wirkten staubig und verschmutzt. Nur ein Schlafsaal war bewohnt. Acht Männer, die von der Front abgezogen worden waren, um als Erschießungskommando zu dienen, schliefen in seliger Ruhe. Für sie war dies gewiss eine Erleichterung.
Die Nacht war pechschwarz. Die Gefangene sollte, wie ein warmblütiger Verbrecher, bei Morgengrauen erschossen werden. Der Sonnenuntergang wäre ein weitaus günstigerer Zeitpunkt zur Hinrichtung eines Vampirs gewesen.
In einer Stube brannte ein einsames Licht. Beauregard klopfte an die Tür. Lantier, ein Veteran, dem eine Gesichtshälfte fehlte, öffnete und bat ihn herein. Der Schließer gab ihm höflich, aber unmissverständlich zu verstehen, dass er sich von Besuchern, die den Gelüsten einer Feindin Frankreichs Vorschub leisteten, nur ungern in seiner Nachtruhe stören ließ.
Lantier überflog Beauregards Besuchserlaubnis und schnalzte bei jeder hochrangigen Unterschrift laut mit der Zunge. Schließlich entschied er zu Beauregards Gunsten und ließ den Engländer
in Mata Haris Zelle geleiten, nachdem er ihn in rasendem Französisch über die Verhaltensmaßregeln unterrichtet hatte, die es der Dame gegenüber zu beachten galt. Berührungen und der Austausch von Gegenständen waren strengstens untersagt.
Der Ruhm der Vampirfrau würde ihren Tod vermutlich überdauern. Solcherlei Theater befeuerte die übertriebenen Geschichten, die man sich von ihr erzählte. Die »Opfer« von Madame zeichneten sie als unwiderstehliche Verführerin, damit sie nicht in den Verdacht gerieten, an den Erfolgen der Spionin in gewissem Maße mitschuldig zu sein. Eine gewöhnliche Frau war unmöglich imstande, so vielen Großen und Guten Geheimnisse zu entlocken. Dies war ein extremes Beispiel für die Art der Bezauberung, die Vampire dem Volksglauben entsprechend über ihre wehrlose Beute auszuüben pflegten.
Die meisten der Offiziere, deren Namen im Zusammenhang mit ihrem Fall, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden war, Erwähnung gefunden hatten, standen nach wie vor im aktiven Dienst. Lediglich einige kleine Lieutenants waren mit ihr untergegangen. Der abscheuliche General Mireau plante soeben seine nächste Offensive.
Man hatte ernsthaft vorgeschlagen, diesem Kommando sollten ausschließlich im Krieg entmannte Veteranen zugeteilt werden. Während er Lantier langsam zu den Zellen folgte, fragte sich Beauregard, ob man diese schwachköpfige Idee tatsächlich verwirklicht hatte. Wenn ja, deutete dies auf eine erschreckende Unkenntnis über den physischen Akt zwischen einem Vampir und seinem Opfer hin.
Lantier öffnete eine stabile Tür und ließ ihn in die Zelle. Der kleine Raum war ungetüncht und verströmte die Atmosphäre eines Kleiderschranks.
Die Gefangene saß an einem kleinen Fenster und betrachtete den Untergang des Mondes. Mit ihrem kurzgeschnittenen
Haar und dem formlosen Baumwollkleid ähnelte sie in nichts der diamantgeschmückten Verführerin, die ganz Paris verzaubert hatte.
Sie wandte sich um und war in der Tat wunderschön. Sie gab sich als Halb-Javanerin aus, doch Beauregard wusste, dass sie die Tochter eines holländischen Hutmachers aus der Provinz war. Nach der Verwandlung hatten ihre Augen sich verändert. Sie hatte geschlitzte Pupillen, wie eine Katze. Die Wirkung war überaus
Weitere Kostenlose Bücher