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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Haltung an und präsentierte das Gewehr. Bei jeder zischenden Blitzpulverexplosion schreckten die jungen Veteranen, von Erinnerungen überwältigt, zusammen.
    Kate beobachtete Charles, der die Fotografen beobachtete. Sein hochgeschlossener Kragen war kein Ausdruck altmodischen Temperaments, sondern diente allein dazu, die purpurrote Färbung seines Halses zu verbergen. Eine feine weinfarbene Linie umsäumte seinen Kragen. Er wirkte im Alter weitaus stattlicher als in der Jugend, sein Haar war weiß, das Kinn fest. Er stand aufrecht, und die Jahre hatten sein Gesicht eher geglättet denn zerfurcht.
    Die Älteste Geneviève Dieudonné war während der Zeit des Schreckens Charles’ Geliebte gewesen. Gewiss floss etwas von ihrem Blut in seinen Adern. Zwar hatte er sich dem dunklen Kuss verweigert, doch war es unmöglich, längere Zeit mit einer Vampirfrau zu verbringen, ohne von ihrem Blut zu kosten, und sei es nur ein kleines bisschen. So mancher warmblütige Mann erkaufte
sich winzige Transfusionen, um seine Haarpracht zu behalten und seinen Bauchumfang zu schmälern. Das war eine wirksamere Verjüngungskur als Affendrüsen. Die Pharmazeuten ließen verlauten, Vampirblut sei eine geheime Ingredienz ihrer Arzneien.
    Das Erschießungskommando wurde entlassen. Reporter bedrängten die Soldaten mit Fragen. Unter ihnen war auch Sydney Horler, der Gassenprediger der Mail .
    »Sie lieben den Krieg«, sagte Kate. »Er liefert ihnen schmackhaftere Geschichten als Mörder aus der Kleinstadt und Ehebrecher vom Dorf.«
    »Sie haben keine allzu hohe Meinung von Ihren Kollegen.«
    »Mit diesen Geiern und Schmierfinken habe ich nichts gemein.«
    »Was ist es für ein Gefühl«, brüllte Horler, »eine Frau zu erschießen?«
    Falls sie die Frage überhaupt verstanden hatten, enthielten sich die Soldaten einer Antwort.
    »Noch dazu eine schöne, wollüstige Frau?«, betonte der Engländer. »Würden Sie sagen, sie war ein Teufel in Menschengestalt, der nicht mehr Gnade verdiente als eine tödliche Kobra?«
    Die Soldaten wandten sich um und gingen davon.
    »Na gut, dann will ich das notieren. Teufel in Menschengestalt. Nicht mehr Gnade. Tödliche Kobra.«
    Horler begann aufgeregt zu kritzeln.
    »Ich glaube, wir haben soeben der Geburt einer Schlagzeile der heutigen Abendausgabe beigewohnt«, sagte Kate.
    Charles war zu erschöpft, um ihr eine Antwort zu geben. Er sah auf seine Taschenuhr, legte den Finger an die Krempe seines Hutes und machte sich bereit zum Aufbruch.
    »Seltsam. Ein warmblütiger Mann, der beim ersten Hahnenschrei ins Bett eilt. Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht verwandelt haben?«

    Charles rang sich ein Lächeln ab. »Kate, ich lebe seit vielen Jahren wie ein Vampir.«
    Er ging einem nächtlichen Gewerbe nach, selbst in diesem verdrehten Jahrhundert, wo nach Einbruch der Dunkelheit Kriege ausgefochten und Friedensabkommen getroffen wurden.
    »Nun, da Mata Hari nicht mehr ist, können Sie sich getrost zur Ruhe legen. Ihr Krieg ist gewonnen.«
    »Sehr witzig, Kate.«
    Sie stieg auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Sein Gesicht war eiskalt. Sie zügelte sich in ihrer Umarmung, um ihm nicht die Rippen zu brechen.
    »Auf Wiedersehen, Charles.«
    »Guten Tag, Kate.«
    Er ging zu seinem Wagen. Sie leckte sich die Lippen und konnte ihn schmecken. Sein Blut war scharf. Die leiseste Berührung seiner Haut genügte, um ihr einen Eindruck seiner Stimmung zu vermitteln. Sie war erregt, weil sie wusste, dass auch Charles erregt war. Zwischen ihm und Mata Hari war etwas Wichtiges vorgefallen. Weiter konnte sie nichts erkennen, nichts Genaues wenigstens. Jammerschade. Wäre sie eine Älteste gewesen, wie Geneviève, hätte sie ihm den Verstand aussaugen können wie eine Orange und erfahren, was es zu erfahren gab.
    Hätte sie diesen Kniff beherrscht, wäre sie der Versuchung zweifellos erlegen. Vampire gewannen von Jahrhundert zu Jahrhundert an Kraft und Macht. Viele Älteste wurden zu Ungeheuern. Sie konnten nach Gutdünken schalten und walten, ohne die Folgen fürchten zu müssen. Charles’ Geschmack verflog, und in ihrem Herzen pochte roter Durst.
    In den ersten Jahren nach ihrer Verwandlung hatte sie in einem fort ihre Grenzen ausgelotet. Unterdessen erkannte sie diese, ebenso wie ihre Untoten-Bedürfnisse, als einen Teil ihres allnächtlichen Daseins. Merkwürdigerweise brauchte sie noch
immer eine Brille, um die schreckliche Kurzsichtigkeit zu korrigieren, die sie in ihren warmblütigen Tagen so

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