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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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warmblütigen Tagen hat er ein Drittel seiner Untertanen umgebracht. Stellen Sie sich vor, was er erst denen antun wird, die er als seine Feinde betrachtet.«
    »Deutschland steht kurz vor der Kapitulation«, zitierte er die amtlichen Verlautbarungen und wünschte, er wüsste es nicht besser.
    »Es ist nicht leicht, einen Betrüger hinters Licht zu führen, Charles.«
    Sie lehnte sich zurück und richtete sich auf. Ein frühmorgendlicher Lichtstrahl bekränzte ihren kurzgeschorenen Kopf mit einem Glorienschein. Sie wirkte eher wie Jeanne d’Arc denn wie eine Vampir-Spionin.
    »Ihr Krieg ist vorbei«, sagte er so freundlich wie möglich.
    »Sie wissen viel über uns Vampire, Charles. Sie müssen einen bemerkenswerten Lehrer gehabt haben.«
    Er spürte, wie er errötete, und rückte nervös seinen Kragen zurecht.
    »Wer war sie?«

    »Sie haben vermutlich nie von ihr gehört.«
    »War sie alt? Eine Älteste?«
    Beauregard nickte. Geneviève Dieudonné war sogar noch älter als der Graf. Ein Mädchen aus dem fünfzehnten Jahrhundert.
    »Lebt sie noch?«
    »Soviel ich weiß, ist sie wohlauf. In Amerika, wenn mich nicht alles täuscht.«
    »Keine Ausflüchte, Charles. Sie wissen genau, wo sie steckt. Schließlich ist es Ihr Beruf, den Dingen auf der Spur zu bleiben.«
    Geertruida Zelle hatte ihn ertappt. Geneviève war in Kalifornien und züchtete Blutorangen.
    »Es war dumm von ihr, Sie altern und sterben zu lassen, Charles. Nein, das nehme ich zurück. Das war Ihre persönliche Entscheidung. Ich an ihrer Stelle hätte dafür gesorgt, dass Sie sich danach verzehren, sich zu verwandeln. Ich hätte meine Kräfte benutzt.«
    »Ihre ›Kräfte‹? Madame Zelle, mir scheint, Sie haben zu viel Zeitung gelesen.«
    »Nein, wir besitzen durchaus gewisse Kräfte. Es ist nicht alles nur Fantasterei.«
    Die Dämmerung färbte den Himmel rosa. Ihr Gesicht war blasser denn je. Ihre Schergen hatten sie ausgehungert. Sie musste beträchtliche Qualen leiden. Viele Neugeborene hätte der rote Durst längst in den Wahnsinn getrieben.
    »Dass sie es unterlassen hat, einen Mann durch Hinterlist von seinem Entschluss abzubringen, obgleich es zu seinem Besten wäre, stellt sie vermutlich über mich.«
    »Ich kann Ihnen versichern, dass Geneviève sich über niemanden stellen würde.«
    »Geneviève? Ein hübscher Name. Ich hasse sie schon jetzt.«
    Beauregard rief sich die Schmerzen ins Gedächtnis. Und erfreulichere Dinge. Ein roter Fächer stand am Himmel.

    »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit«, sagte Geertruida Zelle nüchtern.
    »Das ist bedauerlich«, räumte er ein.
    »Nun gut. Ihrer Vampirdame zuliebe werde ich Ihnen verraten, wie es mir gelungen ist zu überleben. Sie haben sich als äußerst großzügig erwiesen, obwohl Sie es nicht nötig hatten, und dies ist mein Geschenk an Sie. Verfahren Sie nach Belieben damit. Gewinnen Sie den Krieg, wenn er gewonnen werden kann.«
    War dies ein Trick?
    »Nein, Charles«, sagte sie. Entweder hatte sie seine Gedanken gelesen, oder sein Misstrauen war ihm deutlich anzusehen. »Ich bin nicht die Scheherazade des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich habe keineswegs die Absicht, mein Stelldichein mit dem Tod hinauszuschieben.«
    Er versuchte diesen Gedanken zu verdrängen.
    »Überzeugen Sie mich, Geertruida. Überzeugen Sie mich davon, dass ich nicht Ihr letztes Opfer werden soll.«
    »Ein gerechter Einwand, Charles. Ich werde Ihnen einen Ort und einen Namen nennen. Und wenn Sie interessiert sind, werde ich fortfahren.«
    Beauregard nickte. Geertruida Zelle lächelte ein zweites Mal, als würde sie ein Blatt von Figurenkarten ablegen.
    »Château du Malinbois«, sagte sie. »Professor ten Brincken.«
    Darauf hatte er gehofft. Ein weiterer Strang des Spinnennetzes.
    »Ich bin überzeugt«, sagte er und versuchte krampfhaft, seine Wissbegierde zu verbergen.
    »Sehen Sie«, fuhr sie fort, und ihr Fangzahn schimmerte, »ein Vampir weiß alles. Ich will mich kurz fassen. Sie können mitschreiben, wenn Sie möchten. Die Welt hat ihr Urteil über mich gefällt, und ich will mich nicht rechtfertigen. Ich bin dem Rat meines Herzens gefolgt, selbst wenn die Richtung, die ich einschlug, oftmals die falsche war …«

    Auf dem Exerzierplatz drängte sich eine kleine Schar von Zeitungsschreibern und anderweitig Interessierten um einen Bunkerofen. Der letzte Schnee war geschmolzen, wenngleich die kiesigen Eispfützen hier und da das Exerzieren zu einem Wagnis hätten werden lassen. Beauregard blickte in die Runde.

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