Die Vampire
ihn sofort, doch sie hatte keine Zeit, sich seinen Namen ins Gedächtnis zu rufen. Unter lauten Flüchen in schlechtem Latein und Gossen-Französisch schleuderte ihr der Priester eine Flüssigkeit ins Gesicht. Ihre Brille war mit trüben Tropfen übersät.
Im ersten Moment glaubte sie, der Wahnsinnige habe sie mit Vitriolöl übergossen. Säure zerfraß das Fleisch eines Vampirs bis auf die Knochen. Auch wenn sie sich davon erholte, würde sie die nächsten fünfzig Jahre aussehen wie Lantier. Doch kein Brennen war zu spüren, kein Zischen zu vernehmen.
Der Priester schwenkte seine Flasche. Ein zweiter Spritzer traf ihre Stirn und rann ihr übers Gesicht. Sie schmeckte klares Wasser. Nein, erkannte sie, nicht klares Wasser. Weihwasser.
Verblüfft lachte sie auf. Einige katholische Vampire waren durchaus empfindlich gegen derlei Dinge, doch sie war eine alte Anglikanerin. Ihre Familie war protestantisch bis ins Mark; als er von Kates Verwandlung erfuhr, meinte ihr Vater: »Wenigstens hat die kleine Närrin nicht den abscheulichen römischen Antichristen in die Arme geschlossen.«
Der Priester trat kokett zurück, um sich an der Vernichtung der verderbten Höllenkreatur zu ergötzen. Er presste ein großes, grob geschnitztes Kruzifix an seine Brust und reckte eine Handvoll Hostien in die Höhe.
Ihre Mütze hatte sich selbstständig gemacht, und ihr Haar wehte im Wind. Sie hob die Kopfbedeckung auf und tupfte sich damit das Gesicht.
»Ich bin ganz nass, Sie Idiot«, stieß sie hervor.
Der Priester warf eine Hostie nach ihr. Er schien zu hoffen, dass
sie sich in ihren Schädel bohren würde wie ein japanisches shuriken. Die Oblate blieb an ihrer feuchten Stirne kleben.
Erbost zermalmte sie die Hostie mit den Zähnen und spuckte die Krümel aus.
»Wo ist der Wein? In mir wütet der rote Durst. Verwandeln Sie ein Fläschchen, dann habe ich ausreichend Blut zu trinken.«
Die Attacke hatte ihre Blutgier geweckt. Sie würde schon bald frische Nahrung brauchen.
Der Priester schwenkte das Kreuz und überschüttete sie mit den Verwünschungen des Himmels. Ein Gesicht verschwand blitzschnell im Wageninnern. Sie glaubte ein französisches Képi mit einer Menge Eichenlaub daran erkannt zu haben.
»Sie sind Pater Pitaval. Sie waren bei Mata Haris Verhandlung.«
Pitaval, ein abtrünniger Jesuit, war der Beichtvater Mireaus. Und, so schien es, sein getreuer Vampirmörder.
»Eine lächerliche Vorstellung, Pater. Kaum der Rede wert.«
Er hielt ihr das Kruzifix vor die Nase, und sie stieß es von sich.
»Befragen Sie Ihr Gewissen«, rief sie, sowohl an Mireau als auch an den Priester gewandt.
Er hob das Kruzifix wie einen Dolch und stach damit nach ihrer Brust. Die Spitze war scharf genug, um als der sprichwörtliche Pflock zu dienen, doch sie wehrte den Hieb ohne Mühe ab. Ihre Rauchglasbrille fiel herunter, und die Welt verschwamm ihr vor den Augen. Sie sah eine schwarze Gestalt auf sich zukommen und trat beiseite. Sie nahm alle Kraft zusammen, ergriff den Priester und schleuderte ihn gegen den Wagen.
Sie tastete im Kies umher, fand ihre Brille und setzte sie wieder auf. Pitaval kroch auf den Wagen zu. Die Tür knallte ins Schloss, noch ehe er ihn erreicht hatte. Rasch wurde das dunkle Fenster hochgekurbelt. Mit der Schnelligkeit eines Vampirs sprang sie über den Priester hinweg und umfasste den Türgriff mit eiserner
Faust. Sie sprengte das Schloss und freute sich, als sie den Mechanismus brechen hörte.
General Mireau saß steif im finsteren Wageninnern und starrte sie aus hasserfüllten Augen an. Er hatte eine Begleiterin, eine kleine Neugeborene im durchsichtigen weißen Leichenhemd. Sie hatte sich die Handgelenke mit rouge gefärbt, wo Mireau sie mit einem Rosenkranz gefesselt hatte, um ihn zu täuschen, was die Wirkung religiöser Artefakte auf Vampirfleisch anbetraf. Dass der General eine Vorliebe für untote Mädchen hegte, hatte Kate bereits geahnt. Sie hoffte, dass die Neugeborene schlau genug war, ihn nach Strich und Faden auszusaugen und zu plündern.
Sie schüttelte den Kopf. Mireau versteckte sich hinter seiner Begleiterin.
»Schwester«, sagte Kate, »dein Blutgeschmack lässt sehr zu wünschen übrig.«
Das Vampirmädchen wand und krümmte sich. Sie war vermutlich Tänzerin oder Schauspielerin. Wenn nicht gar eine Spionin.
Kate bückte sich und steckte den Kopf in den Wagen. In Mireaus kalten Augen loderten Flammen der Furcht. Er schob die Neugeborene vor, als wolle er einen sich sträubenden
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