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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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sehr gequält hatte. Die meisten Vampire überwanden ihre Gebrechlichkeiten mit der Verwandlung, doch bei ihr war das anders.
    Als sie ihren Durst zu unterdrücken versuchte, verschwamm ihr alles vor den Augen. Das war ihre eigene Schuld. Hätte sie nicht von Charles gekostet, würde sie nun nicht solche Schmerzen leiden.
    Sie zog es vor, sich nicht als Tote zu betrachten, obgleich sie wusste, dass sie sich der Selbsttäuschung hingab. Manche verwandelten sich, wie Geneviève, ohne den wirklichen Tod zu erleiden. Kate hingegen war durchaus gestorben. Mr. Frank Harris, ihr Fangvater, hatte es vorgezogen, seine Nachkommen auszusaugen, ehe er ihnen lebenspendendes Blut einflößte. Sie erinnerte sich an das Stocken ihres Herzens, die seltsame Stille in ihrem Kopf. Das war der Tod gewesen.
    Ihr Herzklopfen ließ nach, und ihre Sehkraft kehrte zurück. Der Himmel war bedeckt, das spärliche Sonnenlicht konnte ihr nichts anhaben. Sie gehörte nicht zu jener Spezies von Vampiren, die bei Tagesanbruch schmorten und verdorrten. Sie war vom Geblüt der Marya Zaleska, einer aristokratischen Parasitin, die sich als uneheliche Tochter des Grafen Dracula ausgab. In Kate mischte sich der verwelkte Stammbaum der Zaleska mit Frank Harris’ überaus potentem Geist. Im Jahre 1888 hatte ihr der berühmte Redakteur versichert, die körperliche Liebe sei das Tor zum Erwachsenwerden, und sie daraufhin, auf einem Diwan im Séparée des Restaurants Kettner, voller Enthusiasmus durch dieses Tor geleitet. Nachdem er sie zur Frau gemacht hatte, hatte er sich verpflichtet gefühlt, sie auch zum Vampir zu machen.
    Obgleich viele junge Frauen Harris’ Überredungskünsten erlegen waren, hatten, außer ihr, all seine Nachkommen den Tod gefunden. Sie hatten sich als zu schwach für ein so starkes Geschlecht
erwiesen. Auch Harris war nicht mehr, in der Zeit des Schreckens hatten Karpater ihn ermordet. Sie war betrübt; zwar hatte sich der liederliche Harris um seine Fangkinder wenig geschert, doch war er ein guter Zeitungsmann gewesen. Sie hatte sich nicht geschämt, ihn in der Welt der Nacht zum Gönner zu haben.
    Charles’ Wagen fuhr davon, seine Geheimnisse waren tief in der Polsterung der Limousine versunken. Das Erschießungskommando zerstreute sich, und die anderen Journalisten machten sich eilig daran, die Lücken in ihren bereits geschriebenen Geschichten zu füllen. Jed Leland vom New York Inquirer, einer der wenigen kompetenten Amerikaner, hob einen Bleistift an die Krempe seines Strohhuts. Sie erwiderte den Gruß, in der sicheren Annahme, er wolle sie in ein lästiges Gespräch verwickeln. Doch Leland trottete mit den anderen davon und begab sich auf die Suche nach einem estaminet, wo sie zwischen anis und Katzenblut ihren Zeitungstext zusammenschmieren konnten.
    Kurz nach ihrer Verwandlung waren ihre durchstochenen Ohren verheilt, und sie hatte zu ihrem Schrecken festgestellt, dass sie wieder Jungfrau war. Doch dieser Zustand war rasch und mit bleibender Wirkung behoben worden. Damals war es eine größere Schmach, »entehrt« zu werden, als sich in einen Vampir zu verwandeln.
    Der Prozess der Anpassung, des Lernens war noch lange nicht beendet. Es war schwer zu sagen, was aus ihr werden würde. Sie hatte feierlich geschworen, sich nicht in ein Monstrum zu verwandeln.
    Allein auf dem Exerzierplatz, marschierte sie zum Wachthaus, ihre scharfen Sinne waren hellwach. Sie wollte ihre Spur auf eigene Faust verfolgen. Und sie wollte sich mit niemandem über dem Rang eines Corporals einlassen. Mit ihrer Verurteilung von General Mireau hatte sie sich in der französischen Armee zahlreiche
Freunde gemacht, wenn auch nur wenige unter den Offizieren. Ihre Artikel über die Affäre Dreyfus hatten die Franzosen verstimmt, und ihre jüngsten Schriften waren nicht geeignet, ihre Zuneigung zurückzugewinnen.
    Durch eine kahle Hecke sah sie, dass auf der Straße ein französischer Stabswagen parkte. Seine Fenster waren verdunkelt. War eine von Mata Haris Eroberungen gekommen, um ihr heimlich Lebewohl zu sagen? Oder um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich tot war?
    Corporal Jacques Lantier erwartete sie in seiner armseligen Stube. Sein Gesicht war ein finsterer Wirrwarr tiefer Narben. Als dem Feind binnen zwei Tagen achtzig Prozent der entblößten Franzosen anheimgefallen waren, hatte der klägliche Rest von General Mireaus Kommando seinen Befehl »bis zum letzten Mann« verweigert und den Rückzug über die hundert Yards morastigen Geländes

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