Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
Vom Netzwerk:
im Halbdunkel der Großen Halle waren auf die Jagd nach Sonnenuntergang ebenso erpicht wie Stalhein. Zarte Sauggeräusche drangen aus einem mit Vorhängen versehenen Séparée. Der unersättliche Bruno Stachel labte sich an dem Saft einer seiner französischen Geliebten. Stalhein vertrat die Ansicht, ein nosferatu solle sich nicht bei Tage nähren; es mache ihn zu benommen, um auf die Jagd zu gehen. Als einer der wenigen Flieger des JG1 ohne ein »von« vor seinem Namen stand Stachel abseits von den anderen; in einem Kader von Jägern war er nichts weiter als ein Mörder. Seine Bilanz zählte einunddreißig Siege.
    »Sei gegrüßt, Erich«, rief ein junger blonder Vampir und hob eine feiste Hand an den Mützenschirm. »General Karnstein lässt
seinen Glückwunsch übermitteln. Wir haben Meldung erhalten, dass dein Abschuss vorgestern Nacht bestätigt worden ist.«
    Göring war der Registrator von Richthofens Zirkus. Er verzeichnete die Einzelsiege in einer Tabelle.
    Zwei Nächte zuvor war Stalhein niedrig gekreuzt, im Schutz der Wolken, und hatte auf das Brummen von Motoren gelauscht. Unter einer Avro 504J hatte er steil nach oben gezogen und den Rumpf der Maschine mit Kugeln durchsiebt. Die Avro war ins Trudeln geraten, mit von Flammenzungen beleckten Flügeln. Er war ihr nach unten gefolgt, um neben dem Wrack zu landen und den Piloten auszusaugen, doch die Avro hatte sich mit Müh und Not hinter die Linien gerettet und war im Niemandsland zu Boden gegangen. Britisches Flugabwehrfeuer hatte ihn daran gehindert, zu landen und sein blutiges Werk zu vollenden. Laut Heeresverordnung durfte er auf keinen Fall vom Feind gesichtet werden; zumindest nicht von einem Feind, der danach noch in der Lage war, einen Bericht zu übermitteln.
    »Der Engländer hieß Mosley. Offenbar aus guter Familie. Seine Laufbahn war zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat.«
    Stalhein dachte an die gefletschten Fangzähne unter einem lächerlich schmalen britischen Schnurrbart, der Rest des Gesichts war hinter Haube und Schutzbrille verborgen. Ein mittelprächtiger Sieg.
    »Freust du dich nicht, Erich?«, fragte Göring. »Jetzt hast du die zwanzig voll.«
    »Ich habe kein Blut getrunken«, gestand Stalhein.
    »Aber du hast einen abgeschossen. Und nur darauf kommt es an.«
    »Mir nicht.«
    Die Enttäuschung über seinen unblutigen Sieg war fast noch größer, als wenn Mosley die Flucht gelungen wäre. Am Ende der Jagd musste er seinen Blutdurst stillen.

    Göring klopfte ihm trotzdem auf den Rücken. Er hatte den geweihtragenden Udet überholt. Zu Beginn des Krieges hätte er für zwanzig Siege automatisch den Pour le Mérite bekommen; angesichts der großen Konkurrenz jedoch war die erforderliche Anzahl zur Erringung eines Blauen Max verdoppelt worden.
    »Der Sieg des Barons ist ebenfalls bestätigt worden«, verriet Göring. »Ein Abschuss unter den Augen der Engländer. Captain James Albright, achtundzwanzig Siege. Ein echter Yankee.«
    Mosley hatte vermutlich einer zweit- oder drittrangigen Streife angehört. Ein erfahrener Flieger hätte sich nicht so ohne weiteres vom Himmel holen lassen. Und doch zählte sein kümmerlicher Leichnam ebenso viel wie Richthofens Triumph über einen ruhmreichen Ritter der Lüfte. Göring, der wie ten Brincken ein enervierendes Faible für die Statistik besaß, führte eine zweite Tabelle, welche die Flieger nicht nach Einzelsiegen, sondern nach der Anzahl der Siege ihrer Opfer auflistete. Nach dieser Rechnung besaß der Baron einen uneinholbaren Vorsprung. Zu Beginn des Krieges, vor dem Tod des großen Boelcke, hatte Richthofen hauptsächlich langsame Aufklärer und Versprengte vom Himmel geholt; nun, da sein Blut in Wallung war, war er auf edlere Beute aus.
    Stalhein war schon einmal abgeschossen worden, von dem bescheidenen britischen Ass James Bigglesworth, lange bevor er genügend Flugerfahrung besessen hatte, um sich für das JG1 zu qualifizieren. Es vergingen Monate, bis die Narben im Gesicht und auf dem Rücken verheilt waren. Er hatte nur überlebt, weil er aus seiner brennenden Fokker geschleudert worden war. Wenn er diese Schuld begleichen konnte, waren ihm Ruhm und Ehre gewiss. Mit seinen zweiundzwanzig Siegen war Bigglesworth das Wagnis wert. Kretschmar-Schuldorff zufolge war der Pilot in Maranique stationiert, in derselben Einheit wie der verstorbene Captain Albright.
    Ein lebendes Geschoss riss den Vorhang aus der Schiene und
schleifte ihn über den Steinfußboden. Ein fassförmiges Etwas von

Weitere Kostenlose Bücher