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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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der Größe eines Kindes hatte sich in der Stoffbahn verfangen. Es quiekte und hinterließ eine Reihe blutiger Pfützen. Lothar von Richthofen trat, mit einem Kandelaber in der Hand, aus der leeren Maueröffnung. Er grinste wie ein Hund, Gesicht und Brust waren blutverschmiert.
    Wenn Lothar der Hund war, war sein Bruder der Herr.
    »Manfred frönt wieder einmal den Sünden seiner Jugend«, bemerkte Göring.
    Der Blutgestank brannte Stalhein in der Nase und den Augen. Alle Vampire in der Halle waren mit einem Mal hellwach. Das Quieken klang, als würden scharfe Klauen über eine Schiefertafel kratzen. Das Bündel kämpfte mit dem schweren Vorhang und schüttelte ihn ab. Verängstigte Tieraugen glänzten.
    Lothar trat zur Seite und ließ seinen Bruder vorbei. Rittmeister Manfred Freiherr von Richthofens Oberkörper war nackt, sein rötliches Fell schimmerte feucht. Er war der beste Gestaltwandler des JG1, die Hauptattraktion dieses fliegenden Monstrositätenkabinetts. Richthofen wirkte für gewöhnlich reserviert, um nicht zu sagen katatonisch, doch jetzt hatte ihn die Leidenschaft gepackt. Des Nachts Engländer zu töten, genügte ihm nicht; er musste tagsüber Wildschweine jagen, wie er es als Kind auf den schlesischen Ländereien seiner Familie getan hatte.
    Der weiß Gott wie und um welchen Preis eingeschleuste Keiler drehte sich knurrend im Kreis, und Schaum tropfte ihm vom Maul. Richthofen pirschte sich an das Tier heran. Obgleich er barfuß ging, klickten seine spitzen Dornenklauen auf den Fliesen. Der Eber wich erschrocken zurück.
    Emmelmans riesige Gestalt löste sich aus dem Schatten der Mauer, stürzte sich auf den Keiler und versuchte ihm die Krallen in den Rücken zu bohren. Doch das glitschige Biest entwand sich seinen Armen, und der Flieger klatschte zu Boden und schloss
seine moosbewachsene Faust um den schmierigen Schwanz des Tieres. Auf ewig zwischen Koboldform und menschlicher Gestalt gefangen, versuchte der kolossale Emmelman den Eber an sich zu ziehen, doch der Schwanz glitt ihm durch die Finger. Richthofen sprang über seinen gestürzten Kameraden hinweg und brüllte seine Beute an.
    Lothar jagte Richthofen hinterdrein, auch er wollte ein Stück vom großen Kuchen. Stalhein und Göring schlossen sich den Brüdern an. Obgleich das Blut des Schweins einen fauligen Gestank verströmte, regte sich Stalheins Vampirinstinkt. Spitze Fangzähne sprossen aus seinem Oberkiefer. Dichtes Fell kroch seinen Rücken hinauf. Das Dunkel lichtete sich.
    Der Keiler rammte das Grammophon-Gestell, stürzte es um und bereitete dem Strauß-Walzer ein schnelles Ende. Das Vieh schüttelte seinen Kopf und zerstreute die Einzelteile des zerbrochenen Apparates in alle Himmelsrichtungen. Das war eine unerträgliche Beleidigung. Diese Schuld würde der Eber bitter büßen.
    Untröstlich über den Verlust der Musik und vom Geruch des Blutes angelockt, kamen die Flieger aus dem Halbdunkel hervor. Wütende rote Augen folgten dem Schwanz des Keilers, während das Tier nach einem Ausweg suchte. Die Vampire rückten ihrer Beute auf den Leib. Stalhein war Teil einer perfekten Angriffsformation. Richthofen bildete, wie in der Luft, die Pfeilspitze. Stalhein befand sich außen rechts, am Sporn des Widerhakens, während der kleine Eduard Schleich die linke Außenposition besetzte. Emmelman bildete das Schlusslicht und humpelte den anderen hinterdrein, als wate er durch dicken Matsch.
    Sie trieben den Eber auf eine offene Tür zu. Der dahinter liegende Gang führte ins Freie. Richthofen war ein Sportsmann. Wenn das Wild durch das Schlossportal gelangte, war es den Spielregeln entsprechend frei und hatte den Sieg errungen.

    Schritt für Schritt rückte die Formation vor. Der Eber wich zurück, seine Hufe klapperten über die Fliesen. Richthofen blickte dem Tier fest in die Augen. Er legte größten Wert darauf, dass seine Beute ihn persönlich kennenlernte, ihm mit Respekt begegnete. Während er sich langsam vorwärtsschob, verlängerten sich seine Arme, und darunter kamen die Rudimente schlaffer Hautsäcke zum Vorschein. Die Finger seiner rechten Hand verwuchsen miteinander, die Nägel bildeten eine spitze Pyramide.
    Der Keiler nahm Reißaus und lief davon. Die Flieger rannten hinterdrein, fädelten sich ohne zu drängeln durch das Nadelöhr der Tür und schwärmten wieder aus, um auf dem Gang beschleunigen zu können.
    Eine Seitentür ging auf. Caligari kam auf den Korridor getrappelt, sein zerbeulter Hut wackelte bei jedem Schritt.

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