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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Das Tier verfing sich zwischen seinen Beinen, und er wandte sich um. Vor Schreck wäre ihm beinahe der Zwicker von der Nase gefallen, als er sah, wie sich die Jagdgesellschaft auf ihn stürzte. Richthofen stieß den Nervenarzt beiseite, doch es schien, als ob das Schwein den Sieg davontragen würde. Die Tür am Ende des Ganges stand einen Spaltbreit offen, und ein Sonnenstrahl fiel herein. Das Licht streifte den Rücken des Keilers. Das Tier witterte die kalte Luft der Freiheit.
    Manfred von Richthofen nahm all seine Kräfte zusammen und ging zum Angriff über. Er sprang wohl an die sechs oder sieben Meter, die Arme ausgestreckt wie Flügelschwingen. Eine Hand krallte sich in die stacheligen Nackenhaare des Keilers. Richthofen ließ sich mit voller Wucht auf den Eber fallen. Blut rann ledrige Haut hinab. Der Jäger zerrte seine Beute in die Dunkelheit zurück, fort von der Tür.
    Stalhein war von dem Tierblut wie berauscht. Er kämpfte gegen seine niederen Instinkte an. Zwar gab es selbstverständlich reinere Beute. Aber Sieg war Sieg.

    Göring quittierte die Großtat des Barons mit begeistertem Applaus. Der dicke Hermann war ein geborener Speichellecker, ein langzüngiger Stellvertreter.
    Richthofen rang mit dem Eber, dann stemmte er ihn über seinen Kopf. Einen Augenblick lang war er Herkules, der Proteus in den Himmel hob. Sein Gesicht war das eines roten Löwen, die Nase glühend, die Mähne von der Jagd zerzaust, das fangzahnbewehrte Maul weit aufgerissen. Er schleuderte das Schwein zu Boden, wo es benommen liegen blieb. Eine Steinfliese barst mit lautem Krachen. Das Tier wand sich wie ein Wurm, leistete kaum noch Gegenwehr. Wie ein geübter Matador ging Richthofen in Tötungsposition, krümmte seinen langen rechten Arm wie einen Säbel und zog die dornbeschlagene Hand zurück. Mit lautem Triumphgeheul stieß er unterhalb des Schwanzes zu und stach das Schwein regelrecht ab. Dann rammte er den Arm tief in die Eingeweide seiner Beute. Ihre Augen erloschen, und der Kopf des Ebers schnellte hoch, als eine blutige Faust durch seine Kehle brach. Das Schwein steckte an Richthofens ausgestrecktem Arm wie an einem Spieß.
    Der Baron machte sich los und bewunderte den rot glänzenden Ärmel, der seinen Arm umhüllte. Dann ging er neben dem toten Tier in die Knie und tauchte, sein gutes Recht in Anspruch nehmend, die Zunge zärtlich in die triefende Halswunde. Er trank nur wenig; nicht der Blutdurst, sondern die Jagdlust hatte ihn getrieben. Als er fertig war, erhob er sich und ließ seine Kameraden das Schwein in Stücke reißen. Er stand daneben wie ein Herr, der seinen Hunden dabei zusieht, wie sie über ihre Belohnung herfallen. Caligari, der noch immer zitterte, warf einen Blick auf das Gelage und watschelte davon mit den Worten, die Jäger hätten offensichtlich den Verstand verloren.
    Im Gedränge erkämpfte sich Stalhein ein zerfetztes Schweineohr. Um diesen grandiosen Preis zu erringen, schlitzte er sich
an Udets Geweih den Arm auf und renkte sich bei dem Versuch, Emmelman beiseitezudrängen, zu allem Überfluss auch noch die Schulter aus. Er hütete seinen Leckerbissen, kehrte den anderen Vampiren den Rücken und saugte an dem abgerissenen Hörorgan. Die Flieger ringsum schmatzten, schlangen, schlürften, würgten. Es schmeckte widerlich, doch es versetzte ihn in einen wahren Freudentaumel.

9
La morte parisienne
    A ls die Sonne unterging, kehrte er in einem Straßencafé am Montmartre ein. Selbst an einem eisigen Wintertag wie diesem saßen zumeist untote habitués an den Tischen auf dem Trottoir. Sie schwatzten und flirteten, lasen und tranken. Todgeweihte Schneeflocken schmolzen auf Hüten, Händen und Gesichtern. Winthrop entschied sich für einen Tisch am Ofen im Innern des Cafés und bat den patron um eine Kanne englischen Tees. Da er im Umgang mit britischen Offizieren durchaus bewandert war, wusste der Franzose, was man von ihm verlangte, und so ließ er Gewürze, Kaffee und Likör links liegen und nahm traurig und verschämt ein ordinäres Päckchen Lipton’s von einem verborgenen Regal.
    Binnen weniger Minuten, in denen der Tee auf Trinktemperatur abkühlte, erhielt er unsittliche Anträge von zwei filles de joie und einem krausköpfigen Jüngling; ein fangzahnbewehrter Zwerg erklärte sich bereit, um den Preis eines Laibes Brot sein Porträt zu zeichnen; das Gerücht, der verwegene Dieb Fantomas habe in einer nahe gelegenen Straße eine reiche Witwe um ihr Smaragdcollier
erleichtert, machte die

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