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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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kritzelte Hieroglyphen in einen messinggebundenen Band, der einem Kloster zu entstammen schien, doch eine Reihe chirurgischer Hilfsmittel in einem Gestell aus Stahl und Glas fesselten den Blick. Ten Brincken, Caligari und die anderen - Dr. Krueger, Ingenieur Rotwang, Dr. Orlof und Professor Hansen - bezeichneten sich als Wissenschaftler, wenngleich sich bisweilen mittelalterliches Alchemie-Gefasel in ihr Kauderwelsch von Evolution und Vererbung schlich.
    Für die Angehörigen der Generation von Stalheins Vater war der Vampir ein Fabeltier. Binnen weniger Jahrzehnte hatte sich die altertümliche Magie zu einem respektablen Gebiet der modernen Wissenschaft gemausert. Verständlicherweise bestand zwischen den beiden eine tiefe Kluft. General Karnstein, der Bevollmächtigte des Grafen von Dracula, war ein Ältester; da er sich für eine Kreatur der Finsternis erachtete, hatte er ein Zentennium der Verfolgung hinter sich, nur um im zwanzigsten Jahrhundert ans Licht gezerrt und in seinen alten Stand zurückversetzt zu werden.
    Stalhein salutierte und verließ das Laboratorium. Im Halbdunkel des schmalen Korridors, der an der Treppe zur Großen Halle endete, fand er sich besser zurecht. Musik wehte die Stufen herab. Ein Strauß-Walzer.
    Mit einem dunklen Gefühl der Beunruhigung stieg er in die
Halle hinauf. Obgleich ten Brinckens Untersuchungen nur selten schmerzhaft waren, stürzten sie Stalhein immer wieder in Verwirrung. Ihr geheimer Zweck wurde ihm vorenthalten. Er redete sich ein, dass seine Pflicht darin bestand, zu handeln und nicht zu verstehen. Jeder Abschuss war ein kleiner Schritt auf dem Weg zum großen Sieg. Er hätte Mitleid für die kurzlebigen Warmblüter empfinden müssen; sie würden nie erfahren, was es hieß, die Lüfte zu beherrschen, das Blut eines Gegners zu kosten, das Licht des Mondes zu trinken.
    Er wollte fliegen, sich auf seine Beute stürzen. Der Rückstoß sich entladender Gewehre, das Pfeifen des Windes in der Verspannung, der Anblick eines brennenden Flugzeugs, das dem Erdboden entgegentrudelte: All das gab ihm das Gefühl, am Leben zu sein. Seine Abschussbilanz lag bei respektablen neunzehn Siegen. In einer gewöhnlichen Jasta wäre dies eine beachtliche Leistung gewesen; in diesem Zirkus jedoch gehörte er zu den unbedeutenderen Jägern. Er hoffte dies zu ändern, so ihm dafür genügend Zeit blieb. Der Richtwert war Baron von Richthofens Bilanz; sie lag derzeit bei einundsiebzig Siegen.
    Die verblichenen Porträts und modrigen Jagdtrophäen, mit denen die Halle einst geschmückt gewesen war, hatten Siegeszeichen des zwanzigsten Jahrhunderts Platz gemacht. Über einem Kamin von der Größe eines Eisenbahntunnels prangte wie an einem Kreuz der dreiundvierzig Fuß breite, mit Einschusslöchern gespickte Oberflügel einer RE8. Im Kamin, mit einer Ankerkette am Sims befestigt, baumelte das zum Kronleuchter umfunktionierte Vorderteil eines Motors: Die Zylinderköpfe waren mit brennenden Kerzen bestückt. Das Kurbelgehäuse bildete den Mittelpunkt eines wirren Mosaiks von Seriennummern aus der Leinwand alliierter Flugzeuge, viele von ihnen löchrig oder halb verkohlt. Das JG1 hatte Souvenirs von Bristol Fighter, Dolphin, Spad, Vickers, Tabloid, Nieuport-Delage, Bantam, Kangaroo und
Caproni gesammelt. Dazu kamen erbeutete Gewehre, Kompasse und Höhenmesser, menschliche Schädel, Fliegerhauben, einzelne Stiefel, zerbrochene Kameras, Knochen, Synchronisationsvorrichtungen der Marke Constantinesco und Propeller.
    Eine Fledermaus -Arie drang aus dem prachtvollen Trichter des nagelneuen Grammophons. Hammer, der den Pour le Mérite, den man ihm zu seinem vierzigsten Sieg verliehen hatte, an der stolzgeschwellten Brust trug, spielte Karten mit Kretschmar-Schuldorff, dem Geheimdienstoffizier, und Ernst Udet, einem hoffnungsvollen Flieger, der beinahe ebenso viele Abschüsse erzielt hatte wie Stalhein. Um eine Öllampe geschart, wirkten sie wie Zwerge in dem riesigen Gewölbe. Hammer war in einen übergroßen Kalmuckmantel gehüllt, der ihn wie einen Troll aussehen ließ. Theo paffte an einer Zigarette, deren Rauchwolke immer weiter in die Höhe stieg, die ferne Decke jedoch nie erreichen würde. Und Udet hatte sich, der neuesten Vampirmode folgend, vor kurzem ein Geweih stehen lassen. Mit Samtfetzen behängt, spross es aus schwärenden Wunden an seiner Stirn.
    Die Dunkelheit ließ auf sich warten. Stalhein war für die Nachtstreife eingeteilt. Er versuchte seine Ungeduld zu zügeln.
    Die anderen Flieger

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