Die Vampire
hätten zugegeben, dass sie das Raoul Privache besuchten?
»Hat man ihr nach der Enthauptung den Kopf wieder angenäht?«
Sie bohrte die Zähne in ihr Handgelenk, nagte die Arterie durch und begann zu saugen. Blut schoss aus der Röhre, und sie schluckte gierig.
»Nein, man hat sie begraben«, erklärte Beauregard. »Ihr Leib verfaulte, aber ihrem Kopf wuchs ein neuer Körper. Das dauerte zehn Jahre.«
Sie holte Atem und grinste mit bluttriefendem Kinn ins Publikum, dann wiederholte sie ihre Attacke. Während sie saugte, krümmten sich ihre ausgestreckten Finger zu einer nutzlosen Faust.
»Es heißt, seitdem sei sie nicht mehr dieselbe.«
»Wie weit kann sie gehen?«
»Sie meinen, ob sie sich mit Haut und Haar verschlingen kann,
so dass nichts mehr übrig ist? Ich weiß es nicht. Bislang hat sie darauf verzichtet.«
Isoldes rohes Fleisch welkte und wechselte die Farbe, während sie sich das Blut aussaugte, ihr Gesicht hingegen schwoll auf und erblühte.
»Ich glaube, wir haben genug gesehen«, sagte Beauregard und erhob sich.
Winthrop war erleichtert. Er würde niemals zu Isoldes Anhängern gehören.
Sie traten auf den Korridor hinaus. Dravot stand neben der Tür und las die neueste Ausgabe von Comic Cuts. Beauregard und der Sergeant waren alte Kameraden.
»Danny, kümmern Sie sich brav um unseren jungen Lieutenant?«
»Ich tue, was in meiner Macht steht, Sir.«
Beauregard lachte. »Das freut mich. Das Schicksal des Empire ruht auf seinen Schultern.«
Winthrop wurde den Gedanken an Isolde nicht los.
»Was halten Sie von einem Spaziergang, Edwin?«
Sie verließen das Theater. Die klare, kalte Luft war eine Wohltat. Der Schnee blieb nicht liegen, sondern überzog den Gehsteig mit schmutzig braunem Matsch. Winthrop und Beauregard schlenderten dahin, Dravot folgte ihnen im Abstand von etwa zwanzig Schritten.
»Als ich in Ihrem Alter war«, sagte Beauregard, »glaubte ich, in einer anderen Welt als dieser alt werden zu können.«
Winthrop war im Jahre 1896, nach der Zeit des Schreckens, zur Welt gekommen. Vampire waren ihm ebenso selbstverständlich wie Hochwild oder Holländer. Von seinem Vater wusste er, was die Briten von Beauregards Generation durchgemacht hatten, all die Veränderungen, an die sie sich während der Zeit des Schreckens hatten gewöhnen müssen.
»Ich erinnere mich an die Jahre, als Ruthven noch nicht Premierminister und Edward Albert Victor noch nicht König war. Da offensichtlich keiner der beiden Herren die Absicht hegt, das Zeitliche zu segnen, ist es gut möglich, dass sie ihr Amt selbst dann noch ausüben werden, wenn ich längst zu Staub zerfallen bin. Dasselbe gilt für Sie, es sei denn, Sie fassen die Gelegenheit beim Schopfe und verwandeln sich.«
»Ich? Mich verwandeln? In ein solches Monstrum?«
Winthrop deutete zum Raoul Privache und dachte an Isoldes rot unterlaufene Augen, während sie sich bis zur Besinnungslosigkeit an ihrem eigenen Blut berauschte.
»Nicht alle Vampire sind von ihrem Geblüt. Sie sind keine besondere Spezies, Edwin. Keine Ungeheuer und Dämonen. Sie sind nichts als eine Erweiterung unserer selbst. Von Geburt an verwandeln wir uns auf millionenfache Weise. Warum also nicht auch in einen Vampir?«
Winthrop hatte natürlich schon einmal daran gedacht, sich zu verwandeln. Kurz nach dem Tod seines Vaters hatte seine Mutter ihn beredet, doch den dunklen Kuss zu suchen, sich gegen die Sterblichkeit zu wappnen. Mit siebzehn war er dazu noch nicht bereit gewesen. Heute erging es ihm kaum besser. Zudem wusste er, dass dieser Entschluss wohlüberlegt sein wollte: Die Frage des Geblüts war von entscheidender Bedeutung.
»Die beste Freundin, die ich jemals hatte, war ebenso ein Vampir«, sagte Beauregard, »wie mein ärgster Feind.«
Einige Meilen entfernt ereignete sich eine Explosion. Flammen loderten gen Himmel und ließen die fischbäuchige Silhouette eines Zeppelins sichtbar werden. Seit etwa einem Monat häuften sich die Luftangriffe. Die Pariser nannten die deutschen Brandgeschosse inzwischen »Liebesgrüße des Kaisers«. Zeppeline flogen so hoch, dass sie ihre Bomben unmöglich gezielt abwerfen konnten, deshalb konnte es alles und jeden treffen. Die Angriffe erfolgten
nicht aus militärischen Gründen; Dracula hatte eine Politik des »Terrors« verfügt, um die Moral der Alliierten zu brechen.
»Vor unserer nächsten Unterredung möchte ich, dass Sie dies lesen«, sagte Beauregard und reichte Winthrop einen Umschlag. »Man könnte es eine
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