Die Vampire
vergoldetes Basrelief des deutschen Kaiseradlers prangte.
»Älteste werden immer und überall bevorzugt«, sagte Ewers halblaut. »Diese jahrhundertealten Narren wissen zwar nicht, welches Jahr wir haben, dafür verfügen sie über ein Offizierspatent und die Möglichkeiten, einem tüchtigen Neugeborenen die Zukunft zu verdunkeln.«
Ewers schien von Missgunst geradezu zerfressen. Poe lernte immer wieder etwas Neues über seinen »Doppelgänger«.
In dem Eisenbahnwaggon erster Klasse hatte Poe, ganz benommen von Ewers’ endlosen Reminiszenzen, seinen Reisebegleiter nur ertragen, weil dessen Position ihm Patronage, Aufstieg oder Degradierung garantierte. Ewers’ Geschichten über das Leben im Dienste des Kaisers waren gespickt mit den verdienten Niederlagen derer, die ihn enttäuscht oder betrogen hatten. Jedes Juwel der Wahrheit, mit dem er seinen autobiografischen Monolog verzierte, wurde erst auf Hochglanz poliert und dann in ein Flechtwerk heilloser Fiktion gefasst.
Es war eine unangenehme Reise, und die zerfurchten Mienen der Soldaten, die aus dem Urlaub zurückkehrten, lauerten vor dem Abteil und in den Schatten zwischen den Waggons. Das Grau ihrer Uniformen färbte auf ihre Gesichter ab, und nur das Rot rings um die Augen verlieh ihnen einen Hauch von Frische.
Poe wurde nach wie vor von Geistern und Gespenstern heimgesucht. Auf einer Chaiselongue ganz in der Nähe saß, eingeklemmt zwischen einem aufgeblasenen Diplomaten und einem General mit Backenbart, ein Mann von der Front, ein wandelndes, wildäugiges Gerippe in einer übergroßen Uniform. Eine verschmutzte Depesche klemmte unter seinem Arm, und bei jedem Stiefeltritt, der über den marmornen Fußboden hallte, zuckte er vor Schreck zusammen. Er war ein lebender Toter, ein Warmblüter, der weitaus lebloser schien als die Vampire links und rechts von ihm. Sein zerbeulter Helm war mit französischem Schlamm besudelt. Die Vorderseite seines Rocks war von seinem Blut rosig verfärbt. Falls er jemals irgendwelche Rangabzeichen getragen hatte, waren sie entweder bis zur Unkenntlichkeit befleckt oder aber abgerissen. Sein müdes Gesicht war eine Maske des Schmerzes.
Der General aß geräuschvoll lebende Mäuse aus einer braunen
Papiertüte und tat, als nehme er den Zustand seines Kameraden gar nicht wahr. Er rückte von ihm ab, um jegliche Berührung mit diesem widerwärtigen Wrack zu vermeiden. Auch der Diplomat starrte stumpfäugig ins Leere, damit er den Soldaten nicht ansehen musste. Die Würdenträger, neugeborene Vampire höchsten Ranges, unterhielten sich über den Kopf des Schlammfritzen hinweg über den Fortgang des Krieges. Da der Deutsche der Welt bester Kämpfer sei, waren sie sich einig, dass der Sieg unmittelbar bevorstehe. Nach der Kapitulation der Russkis gab es keinen Grund, Paris nicht noch vor der Schneeschmelze einzunehmen.
Der Soldat hielt sich den Bauch, als verdaue er gerade eine Sterndistel, und warf Poe einen vernichtenden Blick zu. Einen Augenblick lang glaubte er, der Mann habe ihn als den Verfasser der Schlacht von St. Petersburg identifiziert, und nun müsse er sich für sein Scheitern als Prophet der modernen Kriegsführung rechtfertigen. Der Gedanke verflog, doch er kochte vor Wut über den Diplomaten und den General. Sie und nicht Edgar Poe trugen die Verantwortung dafür, dass der Krieg einen anderen Verlauf genommen hatte als in seiner Vision.
»Poelzig«, verkündete der Schreiber. »Herr Oberst Hjalmar Poelzig.«
Ein blässlicher Offizier erhob sich und schlenderte gemächlich durch die Flügeltür. Poe vermutete, dass er Aktien einer Munitionsfabrik besaß. Nur jemand, der viel Geld verdiente, konnte derart blasiert und zufrieden wirken.
Ewers lief noch immer auf und ab; er schäumte vor Zorn. Er hatte dem Fahrer des Automobils, das sie von der Eisenbahn-Station zur Hofkanzlei befördert hatte, die Dringlichkeit ihrer Mission erklärt. Der Name Mabuse war bekannt genug, um den Mann zu einem waghalsigen Manöver anzuspornen. Ein heftiger Druck auf die Hupe hatte ein Pferd scheu gemacht. Kichernd hatte
Ewers zugesehen, wie zwei Soldaten das Tier zu bändigen versucht hatten, und der Wagen war mit flatternden Adlerwimpeln vorbeigerast. In diesem riesenhaften Saal nun sah er sich auf sein wahres Format zurechtgestutzt, als die falkenäugigen Schreiber seine devoten Bitten entweder geflissentlich ignorierten oder unwirsch beiseitewischten. Wäre er nicht so müde und durstig gewesen, und hätte er sich seiner armseligen
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